Der Facebook-Killer: Thriller (German Edition)
angeblich „spontan eingebrachte“, furchtbare, von Peinlichkeit strotzende Spiele, wie sie jedes zweite Brautpaar durchleiden musste. Wenigstens kam er um die traditionelle Brautentführung herum ...
Marie-Anges grenzdemente Patentante führte im Anschluss daran ein mindestens fünfundvierzig Minuten dauerndes Video aus den Kindertagen der Braut vor, in dem aber überwiegend „der neue Renault in Spanien“ oder „wir in unserem Ferienhaus in der Gascogne“ zu sehen waren; der sterbenslangweilige Film sagte nichts über das Mädchen mit den Marie-Ange-Zöpfen aus. Seine geliebte Braut, sein Engel litt augenscheinlich mit jeder Minute. Zum Abschluss gab es dann noch Squaredance für alle zum Mitmachen, angestiftet und ohne Gnade durchgezogen von einem der wenigen gemeinsamen Schulfreunde, die sie eingeladen hatten und der mittlerweile zu einem glühenden Anhänger dessen geworden war, was er als „einzigartige Kultur der USA“ bezeichnete. Das Programm, das bis dahin an Peinlichkeit kaum noch zu überbieten war, endete mit dem einzigen, was er wirklich schön fand: einer kurzen Einlage eines alten Freundes Marie-Anges, des Opernsängers Jerome Delors. Der Eröffnungswalzer, den er mit Marie-Ange tanzte und für den beide seit Wochen geübt hatte, fand schließlich kurz vor Mitternacht statt, als die diversen anwesenden Kinder befreundeter Paare schon quengelten. Ein klein wenig wurde dann noch getanzt (Delors sprang als DJ ein, weil Marie-Anges Bruder Zachary kaum noch stehen konnte), aber die Stimmung war auf dem Nullpunkt, und gegen halb ein Uhr waren nur noch so wenige Gäste da, dass Marie-Anges Mutter schon mal das Licht anknipste und zusammen mit den beiden jungen Frauen, die sie zum Bedienen der Gäste engagiert hatten, aufzuräumen begann. Die letzten Gäste verstanden, dass das ihr Stichwort war, und zogen sich zügig zurück.
Als er eine Plastikkiste mit halbleeren Schnapsflaschen auf den Parkplatz schleppte, hemdsärmelig, durchgeschwitzt, komplett enttäuscht und erschöpft, sah er in einer dunklen Ecke ein paar Leute zusammenstehen und rauchen: Seine Frau, ihre Eltern und diesen Jerome Delors. Einem Impuls folgend drückte er sich in den Schatten und lauschte.
„... aber es hat ja unbedingt ein Polizist sein müssen, ein Bulle“, sagte Wanda gerade, die Stimme schrill und weingeschwängert, aber deswegen sicher nicht weniger ehrlich. „Du hättest wirklich jeden Mann haben können, einen Akademiker, einen Kollegen von der Schule, meinetwegen Jerome hier ... aber es musste ja unbedingt dieser ... dieser christliche Fundamentalist sein, dieser ... Katholikentaliban!“
Er stand da und zitterte, reglos; der Schweiß lief ihm in Sturzbächen über Stirn und Oberkörper. Sie ... sie verabscheuten ihn ... alle ...
„Ach Wanda, du weißt doch, wie es ist“, hörte sie die gutmütig rumpelnde Stimme von Yves, Marie-Anges Vater. Er war Politikprofessor an der Sorbonne. „Die Eltern lesen Sartre und Camus, kiffen, praktizieren freie Liebe ...“
Er bebte jetzt unkontrolliert.
„... haben Che-Poster an der Wand und besetzen Häuser, und die Töchter werden dann gluckende, kleinbürgerliche Spießerinnen und Hausmütterchen und heiraten nach dem ersten Kuss irgendeinen ... Bullen. Die einzige Form der Revolte gegen eure Achtundsechziger-Revoluzzer-Eltern, die euch armem Kindern bleibt. Der moralische Rollback.“
Er konnte den Tonfall des Professors nicht deuten. Abscheu? Hass? Oder doch gutmütiger Spott?
„Ach kommt schon.“ Jerome Delors zog heftig an seiner Gauloise, und die Glut leuchtete orange durch die Nacht. „Jetzt seid mal nicht zu hart zu ihr.“ Er hielt kurz inne und fuhr dann mit
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