Der Fälscher aus dem Jenseits
hatten, feste Arbeitszeiten und ihre Lohntüte. Für ihn waren das alles nur leere Worte. Dabei konnte er Arbeiter nicht besonders leiden, eigentlich sogar ganz und gar nicht! Baron de Rosier hatte nämlich außer der Langeweile noch eine andere Sorge im Leben: die Politik.
Die allgemeine Entwicklung seit dem Zweiten Weltkrieg bereitete ihm große Sorgen. Die von Osten heranschwappende kommunistische Woge bedrohte auch Frankreich. Sollte diese Gefahr zu akut werden, würde er nicht zögern, in die Vereinigten Staaten auszuwandern. Aber bliebe ihm dann noch genug Zeit dazu? Würden ihn die Bolschewisten nicht vorher schnappen? Würde er dasselbe Schicksal erleiden wie seine armen Vorfahren während der Französischen Revolution?
Kurz und gut, Baron de Rosier hatte Angst vor den Roten. Nicht, dass er von Natur aus furchtsam gewesen wäre. Ganz im Gegenteil, er hatte sogar im Widerstand gekämpft und gegen Kriegsende für den Geheimdienst der französischen Armée gearbeitet. Nur diese Untätigkeit war unerträglich. Dazusitzen und nichts zu unternehmen, tatenlos auf den Angriff zu warten... »Wir leben schon in einer seltsamen Zeit, Herr Baron.«
Neben ihm an der Bar saß ein etwa gleichaltriger Mann und blickte ihn lächelnd an. Auch er sah aus wie aus dem Film, eckiges Kinn, männlicher Blick, ein echter Superheld und Kämpfer für Gerechtigkeit.
»Woher kennen Sie mich?«
»Hier kennt Sie doch jeder, Herr Baron. Außerdem ist das mein Job. Darf ich mich vorstellen: Inspektor Bertino.«
Sie kamen miteinander ins Gespräch. Der Mann war sympathisch, sodass ihm Michel de Rosier schon bald von seinen Sorgen hinsichtlich der politischen Lage erzählte. Mit Vergnügen stellte er fest, dass Inspektor Bertino genau denselben Standpunkt teilte. Dieser senkte plötzlich die Stimme.
»Ich habe den Eindruck, dass man Ihnen vertrauen kann. Darum will ich Ihnen etwas gestehen: Ich gehöre zur DST.«
»Sie gehören zur Gegenspionage?«
»Ja. Abteilung Zentraleuropa.«
Nun begann Baron de Rosier ebenfalls zu flüstern. »Im Krieg hab ich auch für den Geheimdienst gearbeitet.«
Daraufhin erzählte er dem bereitwilligen Zuhörer seine verschiedenen Großtaten. Als er endlich aufhörte zu reden, nickte der andere nur und sagte betont: »Verstehe, verstehe. Bei heiklen Missionen kann man sich auf Sie verlassen.«
»Natürlich. Sagen Sie mir nur, was ich tun soll.«
»So einfach geht das nicht. Zuerst muss ich mit meinen Vorgesetzten darüber reden, und wir müssen über Sie Erkundigungen einholen. Aber wir sehen uns wieder, Herr Baron.«
»Wann?«
»Wenn es so weit ist. Auf unsere zukünftige Zusammenarbeit!«
Als Baron de Rosier mit dem anderen anstieß, schwebte er im siebten Himmel. Endlich passierte in seinem monotonen Leben etwas! Und zwar etwas Wichtiges. Er konnte sich für die Sache einsetzen, die ihm am meisten am Herzen lag, für sie kämpfen...
Sein Gesprächspartner war ebenfalls begeistert. Endlich hatte er den richtigen Mann. Natürlich keinen Meisterspion, der den Russen die Stirn bieten konnte, da er nie zum Geheimdienst gehört hatte. Nein, er hatte da den idealen Schafskopf gefunden, nach dem er und seine Komplizen schon seit einer ganzen Weile gesucht hatten. Und den wollten sie nicht wieder laufen lassen.
Dennoch hatte Inspektor Bertino den Baron nicht in jeder Hinsicht belogen. Er hieß nämlich wirklich Bertino, Sauveur Bertino, auf Korsika geboren, und er hatte wirklich einmal als Inspektor gearbeitet. Nur hatte er vergessen zu sagen, dass man ihn wegen verschiedener Fehltritte aus der Polizei ausgestoßen hatte.
Als Bertino die Bar des Casinos verließ, ging er sofort zu seinen Helfershelfern Léon Masiglia und César Carducci, zwei kleine Gauner, die er während seiner Laufbahn als Polizist kennen gelernt hatte. Er hatte mit ihnen jedoch lieber gemeinsame Sache gemacht, statt sie zu verhaften. Obwohl Masiglia und Carducci keine großen Kriminellen waren, besaßen sie eine Eigenschaft, die sie mit ihm teilten. Sie verfügten über eine überschäumende Fantasie.
In aller Ruhe heckten die drei einen Plan aus, beschlossen aber, sich Zeit zu lassen. Man musste den Baron warten lassen, ihn auf die Folter spannen, bis er bereit war, den größten Unsinn zu schlucken.
Zwei Monate verstrichen. Man schrieb den Oktober 1950. Enttäuscht war Baron de Rosier nach Paris zurückgekehrt, ohne noch etwas von Inspektor Bertino gehört zu haben. Handelte es sich nur um einen Spaßvogel? Das wollte er
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