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Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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waren unverzichtbar, die Nachfrage nahm seit Jahren stetig zu. Bei weitem die wichtigste Kundschaft waren Gemeinden und Kantone, und die bezahlten prompt und bestellten nicht einzeln oder im Dutzend, sondern en gros.
    Am Ende seines Praktikums kannte Felix Bloch seinen Kanalisationsdeckel so gut wie sonst nichts auf der Welt – besser als die Augen seiner Mutter, besser als sein Taschenmesser, besser als den Schalter seiner Nachttischlampe, besser als seine eigenen Hände. Er hatte den Deckel in senkrechter Aufsicht von oben gezeichnet und in senkrechter Aufsicht von unten, und zwar jeweils in den Maßstäben eins zu vier, eins zu acht und eins zu zwölf; auch eine – nicht sehr ergiebige – Seitenansicht hatte er angefertigt. Besonders aufwendig waren die Zeichnungen in einer Aufsicht von fünfundvierzig Grad gewesen, und zu jeder Zeichnung hatte er ein technisches Beiblatt mit Angaben zu den Maßen und Gewichten sowie zum Kohlenstoffgehalt des Stahls und zur Stoß- und Druckfestigkeit pro Quadratzentimeter angefertigt.
    Die vierwöchige Beschäftigung mit dem Kanalisationsdeckel hatte ihm zu seiner Überraschung Spaß gemacht. Nach einem ersten Tag der Verwunderung über die schwer zu überbietende Schlichtheit des Gegenstands hatte er Vergnügen daran gefunden, sich in mönchischer Kontemplation in die Aufgabe zu versenken. Die Frage nach dem Sinn seines Tuns stellte sich ihm nicht. Erstens war das Industriepraktikum obligatorischer Bestandteil des Lehrgangs zum Ende jedes Studienjahrs. Zweitens waren Gussschachtdeckel unbestreitbar eine gute und sinnvolle Sache, denn sie sorgten für schlammfreie Straßen und dienten der Volkswirtschaft sowie der Bewegungsfreiheit der Menschen und der öffentlichen Hygiene und Volksgesundheit. Drittens waren sie militärisch ohne erkennbaren Nutzen. Viertens entdeckte Felix Bloch, wie befriedigend es sein konnte, fundiertes Fachwissen auf einem klar umrissenen Gebiet zu besitzen. Ab Mitte der zweiten Woche konnte er mit Fug und Recht von sich behaupten, Experte für Gussschachtdeckel mit sechzig Zentimetern Durchmesser zu sein.
    Vier Wochen lang war er täglich mit dem Rad von Zürich nach Küsnacht gefahren und hatte mit Eifer und Vergnügen Gussschachtdeckel gezeichnet. Er war morgens der erste im Büro und abends der letzte gewesen, und der Chef hatte ihm, wenn er am Reißbrett stand, über die Schulter geschaut und anerkennend gebrummt. Die Mittagspausen verbrachte er mit den Arbeitern im Umkleideraum. Er saß mit ihnen auf den Sitzbänken, die den Wänden entlang angebracht waren, legte wie sie die Ellbogen auf die Knie und aß wie sie sein Käsebrot aus einer mitgebrachten Blechdose. Er lauschte ihren Gesprächen, hielt klugerweise die Klappe und war dankbar, dass sie ihn, obwohl er doch ein Student war, ihre Verachtung nicht allzu sehr spüren ließen.
    Am Ende der zweiten Woche hatte der Chef ihm nach Feierabend fünf Franken zugesteckt und gebrummt, wenn er nach dem Studienabschluss eine Stelle suche, solle er sich als erstes bei ihm melden. Am Ende der dritten Woche hatte er ihm noch mal fünf Franken zugesteckt und gebrummt, er halte eigentlich nicht viel von Zeugnissen und Diplomen, seinetwegen könne er auch gleich hierbleiben. Die Gießerei wachse schnell und er brauche einen hellen Kopf, den er später vielleicht mal zum Teilhaber machen könne.
    Felix Bloch hatte sich über das Lob und die väterliche Zuneigung des Chefs gefreut, und in der letzten Woche seines Praktikums hatte er sich ausgemalt, wie es wäre, das Studium tatsächlich fahrenzulassen und ein neues Leben als erwachsener Mann mit eigener Wohnung und einem richtigen Beruf als Experte für Gussschachtdeckel anzufangen. Er würde Steuern zahlen und eine Frau heiraten und eine neue Werkhalle für Gussschachtdeckel unten am See planen, und er würde Dienstreisen nach Köln und Skitouren im Engadin und eine Italienreise mit der Frau unternehmen. Später würde er ein Haus auf eine grüne Wiese bauen und die Gießerei ganz übernehmen, und irgendwann würde er sich zur Ruhe setzen, die Gussschachtdeckelproduktion seinen Söhnen überlassen und sich um seine Enkel und seine Kakteensammlung kümmern.
    In der letzten Minute seines letzten Praktikumstags aber, als er zum letzten Mal die Feder absetzte und den Deckel aufs Tuschfass schraubte, seinen Mantel vom Haken nahm und sich vom Chef verabschiedete, der ihn mit gespielter Beiläufigkeit zum Ausgang geleitete und unter der Tür unwirsch murmelte, dass ihm

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