Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)
Weinkrämpfe, immerzu zerschellten Sektgläser und wurden Türen geknallt, und mittendrin stand die kleine Laura, drückte ihre Puppe an den Kinderbauch und wuchs heran in der Gewissheit, dass dies das richtige Leben in der realen Welt sei.
Als Laura groß genug war, um allein lange Flure zu durchqueren, Dienstbotentreppen hochzusteigen und zuverlässig an der Tür mit der richtigen Zimmernummer zu klopfen, schickten die Erwachsenen sie los mit kleinen Briefchen oder auswendig gelernten Verwünschungen. Laura erledigte diese Aufträge gewissenhaft und übermittelte die schwärzesten Flüche mit einem strahlenden Unschuldslächeln, und nebenher prägte sie sich gründlich ein, wer mit wem in Liebe oder Feindschaft verbunden war durch einen gestohlenen Kuss, eine künstlerische Kränkung oder eine nicht beglichene Spielschuld. Und weil das alles so aufregend war, begnügte sie sich bald nicht mehr mit der Nebenrolle der Sendbotin, sondern inszenierte sich selbst als blondgelockter Teufelsbraten, der auf eigene Faust arglos lispelnd Tod und Verderben säte.
Laura hatte großes Vergnügen an diesem Puppenspiel. Sie deponierte Damenstrumpfbänder an Orten, wo diese nicht hätten liegen dürfen, ließ zwecks Beleidigung der Hauptdarsteller mitten im Akt den Vorhang fallen oder schlich sich in den Zuschauersaal, um an unpassender Stelle zu kichern. Sie behauptete wider besseres Wissen, dass dieser ein Toupet trage, jener falsche Zähne habe und ein Dritter wegen einer galanten Unannehmlichkeit den Urologen habe aufsuchen müssen. Und manchmal reichte schon ein wissender Blick aus ihren blauen Kinderaugen, um gestandenen Mannsbildern den Angstschweiß auf die Stirn zu treiben.
Zuweilen kam es vor, dass Lauras Intrigen aufgedeckt wurden, bevor die d’Orianos zur nächsten Etappe aufgebrochen waren. Dann weinte sie, plädierte auf kindliche Unzurechnungsfähigkeit und versteckte sich in der Garderobe der Mutter, bis sich der Pulverdampf verzogen hatte. Weil es dort nichts zu tun gab, sang sie leise mit, wenn die Mutter ihre Koloraturen übte, und schon bald war sie der Meinung, dass sie die Töne ebenso gut treffe wie die Mama. Oder sogar ein bisschen besser. Was auch stimmte. Und dann kam der Tag, an dem sie sich während einer langen Zugfahrt erstmals draußen aufs Treppchen setzte.
Als ihre Brüder Umberto und Vittorio Emmanuele zur Welt kamen, konnte die Mutter diese nicht auch noch zu den Proben mitnehmen. Also überließ sie die Söhne dem Vater, der sein abendliches Geklimper längst nicht mehr üben musste und keinerlei darüber hinausgehenden künstlerischen Ehrgeiz hatte. So verbrachten die Buben ihre Kindheit im Dunstkreis des Vaters auf Pferderennbahnen, Strandpromenaden und in den Rauchsalons der Grand Hotels, wo sie heranreiften zu ausgebufften Pokerspielern, die untereinander sehr ernsthaft um sehr hohe Summen spielten. Mal war der eine lebenslänglich beim anderen verschuldet und de facto dessen Sklave, ein paar Tage später war es umgekehrt.
Die zwei jüngsten Geschwister Marina und Maria Teresa wiederum wuchsen unter der Obhut eines Kindermädchens auf, das ein einfältiges Ding war und viel Zeit darauf verwandte, die Mädchen im Umgang mit Mascara und Nagellack zu unterweisen. Abends vor dem Einschlafen erläuterte sie ihnen die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den europäischen Königshäusern und berichtete von Traumhochzeiten und tragischen Todesfällen. Die Mädchen lauschten, ließen alles in ihre weichen Kinderschädel einsinken und waren schon bald überzeugt, dass es der vornehmste Lebenszweck jedes Mädchens sei, sich von einem russischen Prinzen heiraten zu lassen; so tief sank diese Vorstellung in sie ein, dass die Idee sich später, als ihre Schädel härter geworden waren, nicht mehr verflüchtigen konnte. Deshalb verdrehten Marina und Maria nur noch die Augen, wenn die Eltern sie zum Lösen von Rechenaufgaben nötigen wollten, und wenn man ihnen erklärte, dass auch Mädchen etwas tun müssten im Leben, weil es erstens auf der Welt schon immer viel mehr Mädchen als russische Prinzen gegeben habe und zweitens die wenigen russischen Prinzen kürzlich alle entweder erschossen worden seien oder in Paris als Taxifahrer angeheuert hätten – wenn man ihnen das erklärte, lächelten sie ungläubig und schauten sehnsuchtsvoll aus dem Fenster.
Es war wirklich höchste Zeit, dass die d’Orianos sich zur Ruhe setzten. Das lange Umherziehen hatte sie weltgewandt und reiseklug gemacht,
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