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Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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hier, er wisse es ja, die Tür jederzeit offen stehe – in jener Minute, da Felix Bloch aus dem Haus trat und aufs Rad stieg, durchfuhr ihn wie ein elektrischer Schlag die Erkenntnis, dass er nie wieder hierher zurückkehren würde, weil ein Gussschachtdeckel immer nur ein Gussschachtdeckel war und er niemals im Leben die Demut aufbringen würde, seine Schaffenskraft der Herstellung von Gussschachtdeckeln zu widmen. Oder der Produktion von Kurbelwellen. Oder Pleuelstangen. Oder Webmaschinen. Oder Gasturbinen.
    In jenem Augenblick wurde ihm klar, dass er keinen Tag länger Maschinenbau studieren würde, weil er im vorigen Herbst recht gehabt hatte auf der Laderampe jenes Güterschuppens, als er für die Dauer einiger Sekunden den festen Beschluss gefasst hatte, im Leben unbedingt etwas Schönes, Nutzloses und ganz und gar Zweckfreies zu machen. Entschlossen trat er in die Pedale. Er würde auf direktem Weg nach Hause fahren und dem Vater erklären, dass er nicht anders könne, als sofort ein neues Leben zu beginnen.
    Es gab nämlich an der ETH Zürich in jenen Jahren tatsächlich ein paar Männer, deren Beruf es war, sich tagein, tagaus schöne und schwer verständliche Gedanken zu machen, die keinen erkennbaren praktischen Nutzen und eine gewisse Ähnlichkeit mit den Goldberg-Variationen hatten. Sie spähten mit neuartigen Teleskopen in die Tiefen des Universums und malten sich aus, dass der Kosmos gekrümmt sein müsse und jeder Mensch, wenn er nur tief genug schauen könnte, zuhinterst in der Schwärze des Alls seinen eigenen Hinterkopf erblicken würde. Sie erhitzten Salze und Metalle, leiteten das Licht ihrer Glut durch Glasprismen und stellten aufgrund des Farbenspiels Vermutungen an über den Tanz der Atome und Elektronen, der in erstaunlichem Maß dem Ballett der Planeten, Sonnen und Monde ähnelte.
    In einem Büro der ETH Zürich hatte Albert Einstein seine allgemeine Relativitätstheorie niedergeschrieben, einen Steinwurf entfernt zerbrach sich in jenem Sommer 1925 Erwin Schrödinger den Kopf darüber, wieso Elektronen sich einerseits wie Wellen und gleichzeitig wie Teilchen verhielten. Hermann Weyl hatte hier den mathematischen Nachweis von Einsteins Relativitätstheorie erbracht, und Peter Debye hatte in Zürich experimentell bewiesen, dass die kleinsten Teile der Materie sich tatsächlich so sonderbar sprunghaft verhielten, wie Max Planck es vorausgesagt hatte.
    Felix Bloch aber hatte am selben Ort ein Jahr lang Maschinenbau studiert. Mechanische Technologie I mit Repetitorium, Chemie I und chemisches Praktikum, Mechanik I mit Repetitorium und Übungen, Darstellende und Projektive Geometrie, Metallurgie technisch wichtiger Legierungen, Nationalökonomie, Rechenschieber mit Übungen, zwei Wochenstunden Vorlesung über Maschinenelemente.
    Nebenher hatte er zum Spaß ein paar Vorlesungen in Quantenmechanik besucht. Viel verstanden hatte er davon nicht, aber die Poesie der Ideen, die metaphysische Schönheit ihrer Sprache und das antimechanistische und antikausale Temperament ihrer Logik hatten ihn verzaubert. Kam hinzu, dass es vorwiegend junge Männer waren, die Atomphysik betrieben. Es gab weltberühmte Professoren, die kaum älter waren als Felix Bloch, und alle waren jünger als sein Vater. Heisenberg war vierundzwanzig, Paul Scherrer sechsunddreißig, Schrödinger siebenunddreißig; auch Bohr, Weyl und Debye waren noch keine vierzig.
    Eine halbe Stunde brauchte er für die Heimfahrt, aber diesmal sank ihm nicht der Mut. Während er am Seeufer entlangradelte, legte er sich zurecht, was er dem Vater sagen würde. Er würde ihm von der gekrümmten Raumzeit berichten, so gut er sie verstanden hatte, auch von Heisenbergs Unschärferelation und Paul Scherrers Röntgenkamera, von der wundersamen Stabilität der Materie und der rätselhaften Einfachheit der Naturgesetze. Vielleicht würde er sogar von seiner Ahnung sprechen, dass tief unter der Oberfläche der atomaren Erscheinungen ein Grund von merkwürdiger innerer Schönheit lag.
    Wenn der Vater ihn dann fragte, ob seiner Ansicht nach dem Maschinenbau keine Schönheit innewohne, würde er ihm sagen, dass ein Kanalisationsdeckel einfach nur ein Kanalisationsdeckel sei und er diese Geheimnislosigkeit auf Dauer nicht ertragen würde. Wenn der Vater ihm dann Hochmut vorwarf, würde er ihm zustimmen und sagen, dass er nicht anders könne. Wenn der Vater zu bedenken gab, dass nicht jeder ein Einstein sei, würde er ihm beipflichten und anfügen, dass die

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