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Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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Forschung nicht nur Genies, sondern auch Fußvolk brauche und die Kärrner immer zu tun hätten, wenn die Könige bauten. Wenn der Vater nach den Verdienstmöglichkeiten fragte, würde er sagen, dass er nebenbei das Lehrerpatent machen und im schlimmsten Fall Physiklehrer am Gymnasium werden könne. Und wenn der Vater fragte, ob er enden wolle wie sein Physiklehrer Seiler am Gymnasium, der nach vierzig Dienstjahren als lediger Hagestolz in einer kleinen Dachwohnung ohne elektrisches Licht und ohne Wasserklosett hause und die langen Winterabende allein mit einer Wolldecke vor dem Bullerofen verbringe – wenn der Vater ihn das fragte, würde er antworten: Jawohl, das will ich. Wenn es sein muss, ende ich genau wie mein Physiklehrer Seiler.
    Er erkämpfte sich den Segen des Vaters zum Studienwechsel schließlich mit dem Argument, dass die mathematisch-physikalische Fakultät ihm die ersten zwei Semester vollumfänglich anrechne und er also keine Lebenszeit verschwende. Darüber wunderte sich der Vater, und auch Felix fand es erstaunlich, dass ihm sein Expertenwissen auf dem Gebiet der Gussschachtdeckelproduktion als Grundstudium in Atomphysik gutgeschrieben wurde. In der Folge stellte sich allerdings heraus, dass Physikstudenten an der ETH Zürich ein Maß an Freiheit genossen, das an Vernachlässigung grenzte.
    Es gab weder obligatorische Einführungsvorlesungen noch festgeschriebene Lehrpläne oder Zwischenprüfungen, auch keine verbindliche Zahl von Studienjahren und kein Abschlussexamen. Die vierundzwanzig Studenten, die sich in jenem Wintersemester 1925/26 an der mathematisch-physikalischen Fakultät immatrikuliert hatten, waren weitgehend auf sich allein gestellt; sie komponierten ihren Lehrgang anhand des Vorlesungsverzeichnisses nach eigenem Gutdünken selbst und hatten dabei keine andere Richtschnur zu befolgen als ihre eigenen Neigungen. Es wurde von ihnen lediglich erwartet, dass sie im Lauf ihres Studiums an einem beliebigen Spezialgebiet den Narren fraßen und zu einem nicht vorhersehbaren Zeitpunkt, wenn der Professor sie dazu ermunterte, zu einem eng begrenzten Teilaspekt ihres Spezialgebiets eine Doktorarbeit verfassten.
    Diese altmodisch-humboldtsche Freiheit erklärte sich aus dem Umstand, dass die exakten Wissenschaften nach dem Ersten Weltkrieg so unbeliebt waren wie seit hundert Jahren nicht mehr. Eine breite europäische Öffentlichkeit der Zeitungsleser, Bildungspolitiker und Grundschullehrer hatte nach der Katastrophe den Glauben an eine vernünftige Weltordnung verloren und suchte nun sein Heil in einer unvernünftigen Weltordnung. Allein in Zürich gab es zehnmal mehr professionelle Astrologen als Astronomen, Spiritismus und Anthroposophie, Psychoanalyse und religiöse Heilslehren sowie Opiumkuren, sexuelle Libertinage und Rohkostdiäten erfreuten sich größter Beliebtheit. Die exakten Wissenschaften hingegen mussten die Hauptschuld auf sich nehmen für das mechanisierte Töten auf den Schlachtfeldern, das sie zwar nicht vorsätzlich herbeigeführt, aber doch nach Kräften zu Exzessen getrieben hatten, die ohne ihren Beitrag nicht möglich gewesen wären.
    Zudem hatte die reale Welt der Fabrikbesitzer ihr Interesse an der Physik weitgehend verloren, seit ihre Dampfmaschinen, Lokomotiven und Turbinen einwandfrei funktionierten. Sie wollten nichts wissen von neuen Forschungsansätzen, die keinen praktischen Nutzen versprachen, sondern mit ihrem Relativitätsgetue nur Newtons schlichte, nützliche Mechanik in Frage zu stellen drohten. Und was die weltfremden Sonderlinge an den Hochschulen betraf, so hatten die Fabrikbesitzer für diese schon gar keine Verwendung.
    Zwar war es Felix Bloch recht, dass sich niemand für ihn interessierte und keiner ihm Vorschriften machte. Aber zu Beginn des Studiums wäre ihm ein gewisses Maß an Anleitung doch willkommen gewesen. Da es an der Fakultät niemanden gab, den er hätte zu Rate ziehen können, stellte er sein Veranstaltungsprogramm nach dem Wohlklang der Titel zusammen. So belegte er »Quantentheorie der Serienspektren« bei Debye, »Röntgenstrahlen« bei Scherrer, »Philosophie der Mathematik« bei Weyl, und nach der gleichen M eth ode wählte er als erste Fachlektüre »Atombau und Spektrallinien« des Münchner Professors Arnold Sommerfeld.
    Im Vorwort schrieb der Professor zu Felix’ Erleichterung, dass er »dem Nichtfachmanne das Eindringen in die neue Welt des Atominnern ermöglichen« wolle und »den Gebrauch der Mathematik im Interesse der

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