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Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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hatten, dass der Dozent Jude sein könnte. Ein Professor für Radiophysik namens Erich Marx konnte unter dem Gejohle der Uniformierten überhaupt keine Veranstaltungen mehr abhalten und musste demissionieren. Der NSDSTB forderte die Streichung der Quantenphysik aus den Lehrplänen, weil sie jüdisches Gedankengut verbreite. Die Relativitätstheorie durfte an deutschen Universitäten bald nicht mehr gelehrt, Einsteins Name nicht mehr ausgesprochen werden. Am 10. Dezember stiegen Albert und Elsa Einstein am Berliner Lehrter Bahnhof mit sechs Koffern in den Zug nach Antwerpen, wo sie sich für die Überfahrt nach New York einschifften.
    Auch Felix Bloch wurde ausgebuht, kurz vor Weihnachten musste er erstmals eine Vorlesung abbrechen. Es begann vermeintlich harmlos, indem ein uniformierter Student eine Kupfermünze zu Boden fallen ließ. Noch bevor aber das Geklimper verklungen war, fiel eine zweite Münze zu Boden und dann in rascher Folge eine fünfte, eine zehnte und eine zwanzigste, und in das Geklimper hinein klatschte ein Student dröhnend mit der flachen Hand auf den Tisch, worauf hundert Hände im Takt auf die Tische klatschten, dass es klang wie Stiefelgetrampel. Felix Bloch schrieb ungerührt weiter seine Formeln an die Wandtafel. Aber als die ersten Kupfermünzen nach vorne flogen, legte er die Kreide ab und verließ den Saal.
    An jenem Tag musste Felix zur Kenntnis nehmen, dass sein Pazifismus ihm keinerlei Schutz bot vor dem blinden Hass der Irregeleiteten. Er war machtlos gegen die bösartige Dummheit und die zügellose Gewalt, die sich nicht nur in den Hörsälen der Universität, sondern auch in den Straßen von Leipzig breitgemacht hatten. Wenn er mit dem Rad in die Innenstadt fuhr, wurde er von Studenten erkannt und angepöbelt, manchmal flogen Steine. Bald nahm er nur noch die Straßenbahn und versteckte sich hinter einer Zeitung.
    Der Winter ließ in jenem Jahr lang auf sich warten, es blieb bis nach Silvester zu warm. Viele Hausbesitzer glaubten schon, diesmal mit der Hälfte der üblichen Kohle auszukommen, als Mitte Januar 1933 doch noch die große Kälte Einzug hielt. Die Tauben fielen tot von den Dächern, Bäche, Abwasserkanäle und Wasserleitungen froren zu. Die Fensterscheiben der Straßenbahn waren innen und außen dicht mit Eisblumen bedeckt. Felix verpasste mehrmals sein Ziel, weil der Schaffner die Station nicht ausrief.
    Um vor dem ständigen Hassgeschrei zu fliehen, fuhr er sonntags oft zur Eisbahn; die Rodelbahn war wegen Schneemangel noch geschlossen. Abends ging er, weil ihn in seiner Dachkammer fror, ins Kino. In der Alberthalle und im Königspavillon lief »Tarzans Rückkehr« mit Tom Tyler, im Capitol »Blonde Venus« mit Marlene Dietrich.
    Am letzten Tag der Kältewelle demonstrierten zwanzigtausend sozialistische Arbeiter auf dem Messplatz, am folgenden Morgen brach um sieben Uhr ein heftiges Wintergewitter über Leipzig herein. Unter Blitz und Donner fielen dreißig Zentimeter Schnee, dann wurde es wärmer. Als am Nachmittag der Nationalsozialistische Studentenbund auf dem Universitätshof seine tägliche Demonstration abhielt, verwandelte sich der Schnee unter den Stiefeln der Uniformierten in grauen Matsch.
    Felix Bloch muss damals schon gewusst haben, dass seine Zeit in Leipzig abgelaufen war. Nach der Reichstagswahl vom 5. März erhielt die Universität einen neuen Rektor, der zum Amtsantritt vor versammelter Belegschaft auf dem Dach seines Instituts eigenhändig die Hakenkreuzfahne aufzog. Neue Veranstaltungen wie »Blut und Boden« und »Volk ohne Raum« wurden in den Lehrplan aufgenommen. Am 21. März marschierte ein Fackelumzug mit dreihunderttausend Menschen vom Messplatz zum Augustusplatz. Schüler, Studenten, Soldaten, Arbeiter, Bürger, Bauern – alle machten mit.
    Das Stampfen der Stiefel und die vieltausendstimmigen Gesänge drangen durch die Gassen bis hinaus ans Institut für theoretische Physik, wo Felix Bloch und Werner Heisenberg sie wohl hörten, aber nicht über sie redeten. Die Zeichen waren so offensichtlich und die aufziehende Katastrophe schien so unausweichlich, dass es nichts zu sagen gab. Deshalb schwiegen sie darüber, wenn sie frühmorgens gemeinsam Kaffee tranken und die Geschäfte des Tages besprachen. Sie schwiegen auch, wenn sie abends im Keller Pingpong spielten. Und als Heisenberg und seine Freunde zu Ostern 1933 für eine Woche in die bayrischen Alpen zum Skilaufen fuhren, schwiegen sie ebenfalls.
    Es war schon vier Uhr nachmittags, als

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