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Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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hätte, sondern sich im Gegenteil vom Magneten abwandte, was auf eine positive Ladung schließen ließ.
    Darüber sprachen die fünf Männer stundenlang. Immer wieder reichten sie einander die Zeitschrift und betrachteten stirnrunzelnd die Fotografie, auf der nebst dem Kondensstreifen nichts weiter zu sehen war als vier Schraubenköpfe und die Bleiplatte in seitlicher Ansicht, und suchten nach Erklärungen für die sonderbar gekrümmte Flugbahn, bis die Sonne hinter den verschneiten Bergspitzen untergegangen war.
    Dann gingen sie ins Haus. Heisenberg machte Feuer im Kanonenofen. Sie tranken Grog, pokerten im Schein der Petrollampe um Spielgeld und spielten auf einem alten Grammophon schlechte Schlagerplatten ab, und weil nach Anbruch der Nacht bissige Kälte durch die Ritzen drang, legten sie sich schon bald ohne weitere Worte auf den Strohsäcken des Nachtlagers zur Ruhe.
    Am nächsten Morgen unternahmen die Männer, weil die Schneedecke sich unter der Sonne verfestigt hatte, eine Skitour, am Nachmittag vertrieben sie sich die Zeit auf dem Hüttendach mit einer weiteren physikalisch-philosophischen Diskussion; über alles andere schwiegen sie. Heisenberg sprach nicht darüber, dass er nun jede Vorlesung mit dem Hitlergruß zu eröffnen hatte. Carl Friedrich von Weizsäcker behielt für sich, dass er den Judenhass der Nazis zwar primitiv, die wiedergewonnene Hoffnung im deutschen Volk hingegen faszinierend fand; auch gab er nicht zum Besten, dass er in zwei Wochen an der Leipziger 1.-Mai-Feier teilnehmen würde, an welcher der Führer als Redner angekündigt war. Felix Bloch seinerseits schwieg darüber, dass das neue Berufsbeamtengesetz vom 7. April ihn gezwungen hatte, seine jüdischen Großeltern zu deklarieren, und er informierte die Freunde auch nicht über die Tatsache, dass er ab 1. Oktober ein Rockefeller-Stipendium von hundertfünfzig Dollar pro Monat haben und finanziell unabhängig und frei sein würde, irgendwo auf der Welt nach Belieben seine Forschung weiterzutreiben.
    So vergingen die Tage. Am Ostermontag, dem 16. April 1933, waren die Ferien vorüber, die fünf schnallten die Ski an die Füße und fuhren mit ihrem Gepäck auf der kürzeren westlichen Abstiegsroute ins Tal zwischen Bayrischzell und Landl. Es war ein warmer und sonniger Tag. Der Schnee war ein bisschen karstig geworden, bot aber eine recht feste Unterlage. Unten im Tal, wo kein Schnee mehr lag, blühten die Leberblümchen zwischen den Bäumen, und die Wiesen waren übersät mit Himmelschlüsseln.
    Beim Zipfelwirt ließen die Atomphysiker zwei Pferde anspannen und fuhren im offenen Bauernwagen durch den bayrischen Frühling zur nächsten Station der Oberlandbahn. Und weil sie die ganze Zeit schon kein Wort über die dunkle Nacht gesprochen hatten, die sich über Deutschland und Leipzig, über die Universität und jeden Einzelnen von ihnen gelegt hatte, redeten sie auch während der Bahnfahrt nur übers Wetter und das Aufspalten von Atomkernen und schwiegen über die unausweichliche Tatsache, dass sich ihre Wege im Münchner Hauptbahnhof trennen würden. Niels und Christian Bohr würden, weil sie dänische Staatsbürger waren, zurückkehren nach Dänemark. Heisenberg und von Weizsäcker würden, weil sie ihr Institut nicht im Stich lassen wollten, in den Zug nach Leipzig steigen, um ihre Insel der Kultur über die Zeit der Barbarei hinweg zu retten. Felix Bloch aber würde allein den Zug nach Zürich nehmen und zeitlebens keinen Fuß mehr auf deutschen Boden setzen.

    *

    So geschah es, dass Emil und Laura mit den zwei Mädchen Ende Oktober 1933 zum Bahnhof gingen und über Cannes, Aix und Lyon nordwärts reisten. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn sie an einem jener leuchtend klaren Herbsttage in der Schweiz eingetroffen wären, an denen ein warmer Fallwind aus den Schneebergen einen letzten Hauch von Spätsommer in die Täler trägt, die Luft noch einmal voll Insektengewimmel ist und die Frauen ein letztes Mal leichte Röcke tragen. Dann hätte die Bahnreise von Genf an den Bodensee für Emil Fraunholz zur Triumphfahrt werden können, weil er Laura das lodernde Spektakel der herbstlichen Weinberge hätte zeigen können und die Majestät des weißen Alpenbogens, der sich während der gesamten Fahrt im rechten Fenster präsentiert hätte, und vielleicht hätten sie in Zürich einen Zwischenhalt eingelegt und wären über die Bahnhofstraße an den See spaziert, hätten das Opernhaus besichtigt und wären womöglich Felix Bloch

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