Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)
über den Weg gelaufen, der in jenen Tagen unmittelbar hinter dem eigenen Haus bei den Eltern an der Seehofstraße wohnte und seine Auswanderung nach Amerika vorbereitete, und natürlich hätten Felix Bloch und Laura d’Oriano einander keinesfalls wiedererkannt und Laura wäre mit Ehemann und Kindern zum Schauspielhaus hinaufspaziert, dann am Kunstmuseum vorbei durchs Niederdorf und zurück zum Bahnhof; vermutlich wären sie dann erst spätabends in Kreuzlingen angekommen, als der letzte Bus nach Bottighofen schon weggefahren war, und dann hätten sie die Nacht im Hotel verbracht und hätten am nächsten Morgen, weil das Wetter immer noch schön war, mit einem schmucken weißen Raddampfer eine Rundfahrt auf dem Bodensee unternommen, bevor sie mit dem Bus nach Bottighofen gefahren wären und ihre Aufwartung bei Emils Eltern gemacht hätten.
Aber so war es nicht. Es regnete während der ganzen Bahnfahrt in Strömen und der Himmel war so schwarz verhangen, dass es mitten am Nachmittag schon dunkel wurde, und dazu klatschte ein eisiger Wind das Regenwasser wie aus Eimern gegen die Fenster, weshalb Emil und Laura beim Umsteigen keinen Gedanken an touristische Lustbarkeiten verschwendeten, sondern nur darauf achtgaben, ihre Koffer und die beiden Kinder trockenzuhalten. Die Busfahrt vom Hauptbahnhof Kreuzlingen zum Postamt Bottighofen in der Abenddämmerung dauerte zwanzig Minuten, der Fußmarsch hinauf zum Hof der Eltern eine Viertelstunde.
Und dann standen sie vor dem Haus im Dunkeln. Die Koffer hatten sie im Gasthof »Zum Bären« abgestellt, auf den Armen trugen sie die schlafenden Kinder. Es hatte aufgehört zu regnen. Emil rief erst den Vater und dann die Mutter. Die Tür ging auf, die Eltern traten in Holzschuhen auf den schlammigen Vorplatz hinaus, die Mutter leuchtete ihnen mit einer Petrollampe entgegen. Es folgten ungelenke Begrüßungen und Umarmungen, die Ankömmlinge wurden ins Haus gebeten.
Die Kinder wurden bewundert und in ihre Betten gelegt, in der guten Stube standen Brot, Wurst und Käse auf dem Tisch, dazu eine Flasche Rotwein und ein Krug Milch. Der Vater hieß Laura mit ein paar französischen Brocken willkommen, die er im Militärdienst aufgeschnappt hatte. Die Mutter lächelte Laura aufmunternd zu, tätschelte ihr den Unterarm und forderte sie mit Gebärden auf, bei Speis’ und Trank herzhaft zuzugreifen.
Laura lächelte ebenfalls und ließ über Emil ausrichten, dass sie es bedaure, noch kein Wort Schweizerdeutsch zu verstehen, dann lehnte sie sich zurück und lauschte dem Gespräch der Schwiegereltern mit ihrem Sohn, den sie seit fünf Jahren nicht mehr gesehen hatten. Sie betrachtete ihre gerührten Gesichter und ihre knotigen Hände, und sie sagte sich, dass sie bei guten, friedfertigen und fleißigen Menschen angekommen sei, mit denen eine Weile in Frieden zu leben ihr nicht allzu schwerfallen dürfe.
Nach dem Essen liefen Emil und sein Vater noch einmal hinunter zum »Bären«, um die Koffer zu holen, und Laura ließ sich von der Mutter den Weg zur Toilette und zur Waschküche zeigen. Vor dem Schlafengehen räumte sie die Kleider in den Schrank mit dem festen Vorsatz, sich hier niederzulassen und nicht gleich wieder an Abreise zu denken.
In Bottighofen war es seit alters her Brauch, dass die Bauern in der letzten Oktoberwoche Vorfenster in ihre Fenster hängten und wurstförmige Kissen auf die Fensterbänke legten. Laura verstand, dass der Winter hart und lang werden würde, und dass die Fenster nun fest verriegelt waren und bis zum Frühling nicht mehr geöffnet würden.
Es war die trübste Zeit des Jahres. Die Nächte waren lang und die Tage so kurz, dass die Morgendämmerung direkt in die Abenddämmerung überging. Manchmal fiel ein wenig Schnee. Auf den Weiden standen nasse Kühe unter kahlen Apfelbäumen und ließen die Köpfe hängen. Emil machte sich nützlich, indem er mit dem Vater eine Scheune mit neuen Schindeln deckte. Laura ging der Schwiegermutter in der Küche zur Hand und unternahm, damit die Kinder an die frische Luft kamen, Spaziergänge in die Hügel über dem Dorf.
In der zweiten Woche aber gab die Schwiegermutter Laura mit freundlichen Gebärden zu verstehen, dass es draußen kalt sei und sie die Kleinen ruhig bei ihr in der Küche lassen könne, wenn sie an die frische Luft wolle. Und als Laura dann von einem langen, unbeschwerten Spaziergang zurückkehrte, bei dem sie erstmals seit langer Zeit auf nichts anderes als auf ihre eigenen Schritte hatte aufpassen
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