Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)
müssen, fand sie in der Küche die zwei Mädchen und ihre Großmutter in einer Atmosphäre geradezu summenden Glücks vor. Als sie am nächsten Tag wiederum allein aufbrach, nahm das niemand im Haus zur Kenntnis, und so ging sie fortan immer allein spazieren und blieb so lange weg, wie es ihr gefiel.
Es gab oben bei der Ruine Liebburg eine Sitzbank, auf der Laura eine schöne Aussicht auf den Bodensee hatte, der sich bleigrau in der Ferne verlor und am deutschen Ufer mit dem Nebel verschmolz. Dort saß sie jeden Nachmittag, rauchte Zigaretten und übte die schweizerdeutschen Wörter, die ihr die Schwiegermutter mit verschämtem Stolz auf das eigensinnig-bäuerliche Idiom beigebracht hatte: Meassi, Wenziwenzoguezi, Danggenadie, Wotschau, Nüützdangge. Sie behielt die Wörter mit Leichtigkeit im Gedächtnis – und übte die helle, zarte Färbung des Thurgauer Dialekts, der den Frauen so gut stand und auch den Männern eine feminine Note gab, mit dem Fleiß einer Musikerin, die den richtigen Ton schon im Ohr hat und ehrgeizig genug ist, diesen auch präzise zu treffen.
Laura war festen Willens, in möglichst kurzer Zeit möglichst akzentfrei Schweizerdeutsch zu lernen, denn sie war in Bottighofen bei gutmütigen, liebenswerten und großherzigen Menschen angelangt. Bei ihnen wollte sie bleiben, besser konnte es ihr nirgends ergehen.
Und wenn ihr das Herz schwer wurde beim Abstieg auf dem morastigen Feldweg, beim Anblick der geduckten Bauernhäuser und der Krähen, die zwischen den Ackerfurchen umherhüpften und Saatgut herauspickten, so tröstete sie sich mit dem Gedanken, dass nach Weihnachten die Tage wieder länger würden und es dann nicht mehr lange dauern würde, bis die tausend Apfelbäume, die jetzt so schwarz und scheintot an den Hängen Bottighofens standen, aufs Neue weißrosa erblühen würden.
Aber dann kam jener sonnige Morgen, an dem Laura mit einem Korb Wäsche aus der Waschküche trat, die sich einige Schritte neben dem Wohnhaus in einem kleinen Schopf befand. Von den Dächern tropfte das Schmelzwasser, auf dem Fußweg zum Vorplatz stand Emil Fraunholz und legte die linke Hand an die Wange wie einer, der eine zwar nicht sehr bedeutsame, aber unangenehme Nachricht zu überbringen hat. Laura blieb stehen und schaute ihn an.
Alles in Ordnung? fragte er.
Laura nickte.
Gehst du Wäsche aufhängen?
Wie du siehst.
Laura, hör zu. Emil rieb sich den Nacken und warf ihr einen verlegenen Seitenblick zu. Ich habe mich gefragt …
Was?
Ich habe mich gefragt, ob du bitte in Zukunft deine Wäsche nicht mehr im Vorgarten, sondern hinter dem Haus aufhängen könntest. Beim Ziegenstall.
Dort hat’s keine Wäscheleine.
Meine Mutter hat gerade eben eine gespannt.
Hinter dem Haus ist es schattig und windstill, sagte Laura. Dort trocknet die Wäsche nie.
Die dicken Sachen trocknen da nicht, da hast du recht, sagte Emil. Aber die dünnen schon.
Ich soll die dicken Sachen vor dem Haus aufhängen und die dünnen dahinter?
Nur die Unterwäsche, sagte Emil. Nur deine Unterwäsche.
Nur meine Unterwäsche?
Meine Mutter bittet dich drum.
Deine Mutter hat eine Leine eigens für mich gespannt? Für meine Unterwäsche?
Emil nickte.
Was hat sie gegen meine Unterwäsche?
Nichts, versteh das bitte nicht falsch.
Nein?
Es ist nur so, dass die Leute deine Wäsche sehen können, wenn sie im Vorgarten hängt.
Ich trage ganz normale Unterwäsche. Die ist nicht im Geringsten …
Das ist es nicht, sagte Emil.
Was ist es dann?
Die Leute können deine Wäsche sehen, das ist alles. Gib mir bitte den Korb, ich trage ihn für dich.
Laura lachte und wandte sich ab, damit er ihr den Korb nicht wegnehmen konnte.
Und die Unterwäsche deiner Mutter? Ist die etwa unsichtbar?
Das nicht. Aber man sieht ihr nicht von weitem an, wem sie gehört.
Und meiner Unterwäsche sieht man das an?
Sie leuchtet weithin in die Gegend hinaus, sagte Emil.
Das ist lächerlich, sagte Laura. Meine Unterwäsche ist fast so brav wie die deiner Mutter, ich nehme weiß Gott Rücksicht.
Darum geht’s nicht. Bitte gib mir jetzt diesen Korb.
Worum geht’s dann?
Deiner Unterwäsche sehen die Leute auf den ersten Blick an, dass sie nicht von hier ist. Es ist, als ob dein Name drauf geschrieben stände, verstehst du? Die Unterwäsche meiner Mutter hingegen ist ganz gewöhnliche hiesige Unterwäsche, deshalb sieht ihr niemand an, dass sie meiner Mutter gehört. Sie sieht genau gleich aus wie die Unterwäsche meiner Schwester. Oder die der
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