Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)
Berlin, Paris, London und Boston ausgestellt werden konnte, verlangten die unterlegenen Bewerber wenigstens originalgetreue Kopien – und zwar um jeden Preis.
Diese Kopien wiederum besorgte ihnen Emile Gilliéron, der genau der richtige Mann für diese Aufgabe war. Erstens war er an den Ausgrabungsstätten vor Ort, wenn die kostbaren Stücke nach Jahrtausenden wieder ans Tageslicht kamen, zweitens hatte er das künstlerische Auge, ihren Wert einzuschätzen. Drittens war er der erste, der die Funde reinigte und aneinanderfügte, wenn sie zerbrochen waren. Und zerbrochen waren sie fast alle, denn es hatte jahrtausendelang tonnenschweres Erdreich auf ihnen gelegen.
Es war für Emile Gilliéron ein großes Vergnügen, die Puzzleteile zusammenzusetzen, das Spiel mit den Möglichkeiten, das er Schliemann bei ihrer ersten Zusammenkunft so eindrücklich demonstriert hatte, beherrschte er virtuos; wenn ihm ein wichtiges Puzzleteil fehlte, zum Beispiel der linke Arm einer goldenen Statuette, stieg er persönlich in die Grube und suchte nach ihm. Wenn der Arm aber partout nicht zu finden war, erstellte er von ihm eine Skizze, wie er nach der Logik der Dinge ausgesehen haben musste, und ließ ihn in Athen beim Goldschmied seines Vertrauens anfertigen. Und wenn eine Vase derart zerstört war, dass sie beim besten Willen nicht mehr gerettet werden konnte, ließ er eine neue Vase töpfern und bemalte sie eigenhändig mit den Motiven, die er auf den Scherben vorgefunden hatte. Sagte ihm das Resultat zu, ließ er drei oder vier Kopien anfertigen, manchmal gleich zehn. Und bevor er seine Nachbildungen in die Welt hinaus versandte, fertigte er von ihnen Aquarelle und Tuschzeichnungen an, die er für gutes Geld an wissenschaftliche Zeitschriften, Lexika und Damenmagazine verkaufte.
So vergingen die Jahre. Sein Erstgeborener Emile wuchs heran, drei weitere Kinder namens Gaston, Gemma und Lucie kamen zur Welt. Die Wohnung wurde eng. Zudem wurde die Schwiegermutter alt, man musste sie zu sich nehmen, und mit ihr das Dienstmädchen und die ledig gebliebene Schwägerin. Also ließ Gilliéron eine großzügige Villa für seine griechische Familie auf einem Hügel am nördlichen Stadtrand bauen, wo noch Schafe weideten und die Grundstücke billig waren. Dafür musste er zwar seine gesamten Ersparnisse hergeben, aber er hatte einen schönen Ausblick auf die Akropolis und das Geld war gut angelegt, denn die Stadt wuchs schnell und würde das freie Feld bald geschluckt haben. Hingegen war die Kasse nun wieder leer. Emile Gilliéron, der eben noch ein wohlhabender junger Mann mit blendenden Zukunftsaussichten gewesen war, fand sich plötzlich als Familienoberhaupt mit großer Verantwortung und vielfachen finanziellen Verbindlichkeiten wieder. Es stand außer Frage, dass er noch lange Zeit in Schliemanns Diensten bleiben würde.
Als sein Erstgeborener fünf Jahre alt war, wurde das Wunder offenbar, dass er die Begabung des Vaters geerbt hatte. Sobald Emile junior Bleistift und Papier zu fassen kriegte, zeichnete er alles, was ihn umgab – seine Eltern und die kleinen Geschwister, die Früchteschale auf dem Esstisch, die alte Holzhändlerin an der Straßenecke – und zwar unglaublich scharf, unglaublich klar und detailgetreu, und mit derselben Gleichgültigkeit gegenüber der eigenen Begabung, die schon seinem Vater in der Jugend eigen gewesen war. Dieser beobachtete mit gemischten Gefühlen, wie der Sohn vor den Augen der Touristen in Windeseile sehr brauchbare Skizzen der Akropolis anfertigte und diese auch gleich für gutes Geld verkaufte. Einerseits freute er sich, dass seine Fähigkeiten auf den Jungen übergegangen waren, und dass er beim Verkauf seiner Werke kaufmännisches Geschick an den Tag legte. Andererseits fühlte er sich in seinen persönlichen Verdiensten zurückgesetzt, wenn sein Künstlertum nichts weiter als eine Auswirkung der Mendelschen Vererbungslehre war. Weil der Senior aber die geschäftlichen Perspektiven erkannte, die sich einem gemeinsamen Unternehmen von Vater und Sohn eröffnen würden, nahm er den Junior schon bald auf die Ausgrabungsfelder mit und unterrichtete ihn in allen Bereichen bildnerischen Gestaltens, soweit er es vermochte.
Doch kurz nach Weihnachten 1890 starb Heinrich Schliemann unter entsetzlichen Qualen an einer eitrigen Zwiebelgeschwulst im Mittelohr, die seine deutschen Ärzte vergeblich zu operieren versucht hatten. Seine junge Witwe verkündete der Welt zwar umgehend, dass sie das
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