Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)
Knossos vermutet wurde, mit List und Tücke in sechsjähriger Kleinarbeit sämtliche Schafweiden und Olivenhaine zusammengekauft.
Und als dann endlich alle Grabungsbewilligungen vorlagen, war er am Morgen des Freitag, 23. März 1900, mit seinem Esel aus der Stadt hinausgeritten bis zu jener Taverne, vor der mehrere hundert Frauen und Männer jeden Alters auf ihn warteten, und hatte zweiunddreißig von ihnen als Ausgräber, Schaufler, Lastenträger und Wäscherinnen engagiert. Dann hatte er sie mit Grab- und Waschwerkzeugen ausgestattet und in die Olivenhaine geführt mit dem ausdrücklichen Ziel, dort eine alte europäische Hochkultur zu entdecken, die sich mit jenen der Pharaonen und Sumerer würde messen können.
Und weil Evans so genau wusste, was er suchte, fand er es auch.
Nach ein paar Tagen nicht sehr ergiebiger Probegrabungen dirigierte er die Arbeiter zuoberst auf den kleinen Hügel, der sich in der Mitte aus der Ebene erhob. Dort kam ein Gewimmel prähistorischer Mauern zum Vorschein, die sich dicht an dicht in verwirrender Anordnung parallel und rechtwinklig zueinander über mehrere Hektaren hinzogen. Arthur Evans erkannte sofort, was er vor sich hatte: das Labyrinth des König Minos, des leiblichen Sohnes des Zeus und der Europa, in dem Theseus den menschenfressenden Minotaurus erschlagen und dank Prinzessin Ariadnes rotem Wollfadenknäuel zum Ausgang zurückgefunden hatte. Als dann am Fuß einer Mauer ein Wasserbecken auftauchte, identifizierte Evans es als die Badewanne der Ariadne. Und als in einer Kammer ein in Stein gehauener Sessel mit hoher, in die Mauer eingelassener Rückenlehne gefunden wurde, war Arthur Evans überzeugt, den Thron des König Minos vor sich zu haben.
Das war natürlich Unfug in reinster Schliemannscher Tradition, denn bei Lichte betrachtet war der Thron einfach ein viertausend Jahre alter Steinsessel und das Wasserbecken ein altes Wasserbecken, und auch von den Mauern ließ sich aufrichtigerweise nicht viel mehr sagen, als dass sie aus grob behauenem Gestein bestanden und in ihrer Gesamtheit ein Gewimmel von tausend kleinen Kammern bildeten, die bis zu ihrer Zerstörung durch ein Erdbeben vor viertausend Jahren einem unbekannten Volk zu irgendeinem unbekannten Zweck gedient haben mochten.
Aber die Funde, welche die Arbeiter im Erdreich zwischen den Mauern zutage förderten, übertrafen alle Erwartungen: exquisite Töpferwaren blieben in den Sieben hängen in großer Zahl, ebenso Schmuck und fein gearbeitete Siegelsteine, Wasserbecken aus Stein und Kupfer sowie zart geschnitzte Elfenbeinfiguren, außerdem Hunderte von kleinen, in bisher unbekannter Sprache beschriebenen Tontafeln, die Evans als die ersten Gesetzestexte auf europäischem Boden deutete. Die wichtigste von allen Entdeckungen aber war, dass die Gemäuer von Knossos über und über mit bunten Fresken bemalt gewesen waren, in denen eine reiche und sinnenfrohe Kultur – Evans nannte sie die minoische – Zeugnis ihrer selbst abgelegt hatte.
Einige Fragmente des bemalten Kalkputzes hielten noch am Gemäuer fest, Hunderte und Tausende von Bruchstücken aber waren abgefallen und lagen leuchtend bunt im Erdreich, von wo die Arbeiter sie mit ihren Schaufeln ans Tageslicht und in die Siebe beförderten. Auf manchen Fragmenten waren menschliche Arme, Beine und Ohren zu sehen oder geometrisch angeordnete Lilien, Rosen und Farnwedel, auf anderen Stierhörner, Pfauen und Fasane, Affenschwänze, Hunde, Ölbäume oder Segelschiffe. Manche waren groß wie Suppenteller und andere klein wie Fingernägel, und sie lagen weitherum verstreut und waren, da sie nun ausgegraben waren, ungeschützt der Witterung, den Stiefeln der Arbeiter und den Hufen der Ziegen ausgesetzt. Wenn die Fragmente nicht zu Staub zerfallen sollten, mussten sie sofort geborgen, gereinigt und zusammengefügt werden. Und für diese Aufgabe, das wusste Arthur Evans, war niemand so geeignet wie Emile Gilliéron.
Es scheint, dass Gilliéron in Athen alles stehen und liegen ließ, als ihn die Einladung des reichen Engländers erreichte. Die Überfahrt mit dem Postdampfer von Piräus nach Candia dauerte bei gutem Wetter anderthalb Tage, der Ritt im Holzsattel auf einem Maulesel vom Hafen hinauf nach Knossos anderthalb Stunden. Arthur Evans vermerkte in seinem Notizbuch unter dem 10. April 1900, dass Gilliéron auf dem Grabungsfeld eingetroffen sei und sofort begonnen habe, die Bruchstücke zu sortieren.
Da wäre man gern dabeigewesen. In jenen Tagen blies der
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