Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)
und legte zur verabredeten Gage ein paar Scheine hinzu. Laura steckte sie in die Manteltasche und nahm sich vor, sie gleich am nächsten Morgen nach Bottighofen zu schicken.
Am Ende des Abends erwartete sie am Hinterausgang ein befreundeter Kellner, der sie wie früher vor allzu begeisterten Verehrern beschützte und nach Hause geleitete. Als sie aber vor der Musikalienhandlung angelangt waren und Laura die Haustür schon aufgestoßen hatte, dachte sie an das leere Zimmer im Obergeschoss und die schlaflosen Stunden, die sie dort erwarteten. Da zog sie die Tür wieder zu und hakte sich beim Kellner unter, zog ihn an sich und sagte: Du hast doch nichts mehr vor? Lass uns noch ein wenig spazieren gehen, die Nacht ist so schön.
*
Mit dem Palast des Königs Minos wurden Arthur Evans und Emile Gilliéron in jenem Frühling 1900 berühmt. Wie eine lang ersehnte Wohltat verbreitete sich in Berlin, Paris und London die Nachricht, dass zur Zeit, da die alten Ägypter schon mit dem Kompass navigiert und die Chinesen sich in Papiertaschentücher geschneuzt hatten, auch die Europäer nicht mehr ganz ausnahmslos alle in Bärenfell gekleidete Höhlenbewohner gewesen waren.
Gilliérion und Evans arbeiteten rund um die Uhr. Tagsüber waren sie auf dem Grabungsfeld, nachts katalogisierten sie Funde, zeichneten und schrieben Artikel für archäologische Zeitschriften. Nach zwei Monaten aber mussten sie die Grabungsarbeiten einstellen, weil die Sonne zu heiß vom Himmel brannte und über hundert Arbeiter an Malaria erkrankt waren. Am 2. Juni 1900 reiste Evans nach England, um Vorträge zu halten und Geldgeber für weitere Grabungen zu suchen. Einen Tag später nahm Emile Gilliéron die Fähre nach Athen, zog sich ins Atelier auf dem Dach seiner Villa zurück und begann mit der Anfertigung von Reproduktionen für den internationalen Markt.
Vom Stierkampf-Fresko machte er eine Kaltnadelradierung, die er auf Bestellung dutzendfach an Tageszeitungen und Fachzeitschriften verschickte. Die Campingstuhl-Schönheiten versandte er als vierfarbigen Siebdruck an Museen und vermögende Privatiers. Den Safranpflücker malte er fünfmal in Öl. Ein Exemplar schenkte er dem griechischen König, eines dem griechischen Staatsmuseum und eines Arthur Evans, und eines hängte er bei sich im Wohnzimmer auf; das letzte überließ er seinem Sohn Emile junior und gab ihm den Auftrag, zehn identische Kopien herzustellen.
Als Gilliéron im Februar 1901 nach Kreta zurückkehrte, nahm er seinen Erstgeborenen mit und stellte ihn auf der Fähre Arthur Evans als seinen persönlichen Mitarbeiter vor. Dieser war zuerst nicht sonderlich begeistert vom dandyhaften Jüngling, der beim gemeinsamen Mittagessen melancholisch aufs graue Meer hinausschaute und sich zu keinem Zeitpunkt am Gespräch der Erwachsenen beteiligte. Zwischen Suppe und Hauptgang aber bemerkte Evans trotz seiner Kurzsichtigkeit, dass der Junge unablässig mit der rechten Hand neben seinem Teller übers Papiertischtuch fuhr. Als Evans sich vorbeugte und die Augen zusammenkniff, um besser sehen zu können, was Emile junior da trieb, steckte dieser verlegen seinen Bleistift weg, legte die Serviette neben den Teller und schaute wieder hinaus aufs Meer. Also wartete Evans das Ende der Mahlzeit ab und blieb sitzen, bis Vater und Sohn Gilliéron sich in ihre Kabine zurückgezogen hatten und der Kellner das Geschirr abtrug. Dann klemmte er sein Monokel vors Auge und beugte sich über den Tisch bis zur Stelle, an der Emile juniors Teller gestanden hatte. Dort konnte er sehen, dass das Papier übersät war mit meisterhaften Bleistiftminiaturen minoischer Stierkämpfer, Schlangenpriesterinnen und Campingstuhl-Schönheiten, die von so spielerisch leichter Hand gefertigt waren, als hätte sie nicht der Fünfzehnjährige, sondern dessen Vater gemacht. Arthur Evans ging um den Tisch herum und ließ sich an Emile juniors Platz nieder, um sich alles aus nächster Nähe anzuschauen. Dann musste er lächeln. Die Zeichnungen waren liebevoll mit Rotwein, Spinat, Eigelb, Tomatensauce und Kaffee koloriert.
Die Ankunft auf Knossos war dann ein Schock, das Grabungsfeld war während der subtropischen Winterregen zu einem einzigen Sumpf verkommen. Die mühsam ausgehobenen Gräben waren verschüttet, überall staksten Ziegen umher und zerstampften mit ihren Hufen das kostbare, jahrtausendealte Geröll; da und dort klafften Lücken im Gemäuer, weil die Bauern mit Ochsengespannen hergefahren waren und sich die schönen
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