Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)
eins ein. Mitte der zweiten Woche aber ließ der Patron des »Chat noir« sie rufen und bot ihr ein einwöchiges Gastspiel als Kosakensängerin an.
Es gab nun im »Chat noir« neben der Eingangstür einen beleuchteten Schaukasten, in dem Fotografien der auftretenden Künstlerinnen hingen. Da Laura keine geeigneten Bilder von sich besaß, drückte ihr der Patron das Kosakenkostüm und die Adresse eines fotografischen Ateliers in die Hand. Und als sie zögerte, sagte er, sie solle sich nicht so anstellen, er werde den Fotografen aus seiner Tasche bezahlen; zudem könne sie die Bilder hinterher behalten, falls sie damit auf Tournee gehen wolle. Und das alte Kostüm, wenn er es sich so überlege, eigentlich auch.
Also schlüpfte sie in das Kosakenkostüm, warf ihren Mantel darüber und ging hin. Im Atelier war es warm, der Fotograf nahm ihr mit routinierter Höflichkeit den Mantel ab. Er schminkte ihr Gesicht und richtete ihr Haar, gab ihr einen Operettensäbel in die Hand und bat sie, sich beidhändig darauf abzustützen wie auf einen Spazierstock und dazu in die Kamera zu lächeln. Dann sollte sie den Säbel schultern wie ein Gewehr, den Kopf in den Nacken werfen und das linke Bein anwinkeln, sich auf die Zehenspitzen stellen, die Brust vorstrecken und den Bauch einziehen, lächeln, versonnen himmelwärts schauen, ein ellenlanges Mundstück mit rauchender Zigarette zwischen Zeige- und Mittelfinger halten, sich auf den Bauch legen, beide Ellbogen aufstützen und das Kinn in die gefalteten Hände betten.
Unangenehm war das alles nicht. Und es ging schnell. Der Fotograf war weit weg und beinahe unsichtbar unter seinem schwarzen Tuch, nur seine sanfte, leise Stimme war zu hören, wenn er Anweisungen gab. Schließlich kam er wieder unter dem Tuch hervor, half Laura in den Mantel und hielt ihr die Tür auf, und dann stand sie schon wieder draußen auf der Straße und war auf dem Heimweg.
Drei Tage später aber erschrak sie dann doch, als die Fotos tatsächlich im Schaukasten des »Chat noir« hingen und darüber in fetten, pseudo-kyrillischen Lettern »Anuschka, die Nachtigall aus Kiew« stand. Laura betrachtete die Bilder. Sie erkannte sich selbst nicht wieder, die Gestalt in der Kosakenuniform war eine Fremde, und doch seltsam vertraut. Es dauerte einen Augenblick, bis Laura sich eingestehen konnte, dass es ihre Mutter war, die ihr aus den Fotografien entgegenblickte. Die Unschuld der runden Stirn, die unbewusste Koketterie der nach hinten gezogenen Schultern, die ungelenke Grazie ihres Spielbeins – sie sah aus wie ihre Mutter auf den Bildern, die sie vor zwanzig Jahren für ihre Orient-Tournee hatte anfertigen lassen.
Bald kam der Abend des ersten Auftritts. Das Kosakenkostüm mit dem falschen Hermelinbesatz saß Laura wieder wie angegossen, sie hatte nach den zwei Schwangerschaften ihre Figur wiedergefunden. Das Lampenfieber fuhr ihr schlimmer in die Knochen denn je, aber als ihr der Barpianist endlich das verabredete Zeichen gab und sie hinter dem Vorhang hervorstürzte, ihren Kasatschok tanzte und ein russisches Liebeslied anstimmte, war sie schon fast wieder glücklich. Das Publikum raste, die jungen Matrosen von den silbernen Metallschiffen lagen ihr zu Füßen. Es war alles wie damals, nur das Wichtigste – ihr Gesang – war nicht mehr derselbe.
Erstaunt hörte Laura sich selbst beim Singen zu und fand, dass ihre Stimme nun nicht mehr dünn und heiser klang, sondern getragen wurde von einer durchdringenden, rückhaltlosen Wehmut, die ihr geradezu peinlich war. Sie versuchte sich zu mäßigen und achtete auf ihre Atemtechnik, versuchte das Metrum zu halten und gab sich Mühe, exakt zu intonieren und alle Vokale und Konsonanten sauber auszuformen; aber sosehr sie sich selber zum Pianissimo anhielt und um eine wohlerzogene Frauenstimme bemühte, sang sie doch immer nur Fortissimo und lag bei jedem Ton und jedem Takt aus vollem Herzen daneben.
Aber den Männern im Publikum schien es zu gefallen, und der Barpianist hieb vergnügt in die Tasten, als wär’s sein eigener Polterabend. Also tanzte sie weiter bis zur Erschöpfung und brüllte Kosakenlieder in die Nacht hinaus, und als sie zum Abschluss ein Wiegenlied sang und dabei in Tränen ausbrach, weinten auch die Matrosen und grölten aus voller Kehle »Bajuschki Baju«.
Auch der Patron des »Chat noir« war zufrieden und brachte ihr persönlich ein Glas Champagner in die Garderobe. Er brummte, sie habe ja mächtig Fortschritte gemacht seit dem letzten Mal,
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