Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)
dicken blonden Zöpfe präsentierten. Laura wusste diese sprachlose Geste fraulicher Solidarität zu schätzen, verstand sie aber auch als Fingerzeig, dass es den Mädchen gutgehe und Laura es sich nicht einfallen lassen solle, in Bottighofen aufzutauchen.
In jenem Sommer 1940 wurde Laura d’Oriano neunundzwanzig Jahre alt. Sie feierte ihren Geburtstag allein in ihrem alten Mädchenzimmer am Vieux Port. Der Vater war schon ein bisschen alt geworden und ließ Laura in allem gewähren unter der einzigen Bedingung, dass sie keine Herrenbesuche nach Hause brachte, und auch die Mutter hatte sich damit abgefunden, dass ihre Tochter sämtliche Marionettenrollen ablehnte – falls es nicht auch eine Marionettenrolle war, dass sie allmählich ein ältliches Fräulein wurde, das noch immer bei den Eltern wohnte, aussichtslose Herrenbekanntschaften unterhielt und seit Jahr und Tag einen Aushilfsjob verrichtete, der einst als vorübergehende Notlösung gedacht gewesen war.
Laura fühlte sich in dieser Rolle nicht unwohl. Man kann sich vorstellen, dass sie diese noch lange gespielt hätte, wenn die Umstände es zugelassen hätten. Als aber Italien Frankreich den Krieg erklärte und Mussolini seine Landsleute heim ins Vaterland befahl, packten Lauras Eltern die Koffer und riefen ihre vier jüngsten Kinder zu sich, dann verkauften sie die Wohnung und nahmen die Fähre nach Rom – nicht um Mussolini zu gehorchen, sondern um einer Verhaftung durch die französische Polizei zu entgehen, die italienischen Staatsbürgern keine Aufenthaltsbewilligung mehr erteilte.
Laura blieb allein zurück. Schwierigkeiten mit den Behörden erwartete sie vorerst keine, da sie durch Heirat Schweizerin geworden war. Aber sie musste aus der Wohnung am Vieux Port ausziehen und eine neue Unterkunft suchen. Das erwies sich als schwierig, weil sämtliche Hotels und Pensionen ausgebucht und die Preise für die windigsten Buden in absurde Höhen gestiegen waren.
An einem Sommermorgen im Juli 1940 stand Laura d’Oriano auf der Straße und trug ihre gesamten Besitztümer im alten, edlen Reisekoffer zur Arbeit. Die Chefin machte ein strenges Gesicht, die Arbeitsbienen tuschelten. Als die Chefin kurz vor Ladenschluss mit den Tageseinnahmen zur Bank ging, huschte eine Arbeitsbiene aus dem Atelier hervor, drückte Laura einen Zettel in die Hand und hauchte, Laura könne gern bis auf weiteres bei ihr wohnen, in ihrer Dachkammer sei noch ein Schlafplatz frei.
Laura nahm das Angebot dankbar an. Die Dachkammer befand sich in der Rue du Tapis Vert in der sechsten Etage, und der Schlafplatz war ein altersschwaches Empire-Sofa neben einem zugigen Fenster. In der Mitte der Kammer stand ein Paravent, dahinter das Bett der Arbeitsbiene. Die zwei Frauen gingen früh zu Bett. Dann lagen sie im Dunkeln, jede vor den Blicken der anderen geschützt, und redeten noch lange von Frau zu Frau. Den folgenden Abend verbrachten sie in der gleichen Weise. Sie freundeten sich an, bald wusste jede alles von der anderen. Als die nächste Wochenmiete fällig war, bezahlte Laura die Hälfte, beim nächsten und beim übernächsten Mal auch.
So verging ein halbes Jahr.
Am Nachmittag des 10. Januar 1941 betrat ein kleiner, rundlicher Mann den Hutladen, dem eine Haartolle in die Stirn fiel und der auch sonst wie Napoleon Bonaparte aussah. Als die Chefin ihn begrüßte, antwortete er unwirsch auf Italienisch und sah sich hilfesuchend um, worauf die Chefin mit weichem Schwung ihres runden Arms auf Laura wies und sich ins Atelier zurückzog.
Laura hatte gleich bei den ersten Worten des kleinen Mannes gehört, dass er Italienisch mit französischem Akzent sprach, aber sie spielte das Spiel mit und fragte ihn auf Italienisch nach seinen Wünschen.
Ich brauche einen schwarzen Filzhut für die kalte Jahreszeit, sagte der kleine Mann. Größe vierundfünfzig, bitte.
Laura holte eine Auswahl von Filzhüten aus dem Regal, legte sie auf den Tresen und erläuterte deren Besonderheiten, während der kleine Mann einen um den anderen aufsetzte.
Ich nehme diesen hier, sagte er schließlich. Bitte nicht einpacken, ich setze ihn gleich auf. Sie sprechen übrigens ein sehr gepflegtes Italienisch.
Meine Eltern sind Italiener, sagte Laura.
Dann haben Sie gewiss bemerkt, dass ich selber Korse bin, sagte der kleine Mann.
Laura nickte.
Mein Italienisch ist furchtbar, aber Sie scheinen Talent für Sprachen zu haben. Man hat mir gesagt, dass Sie auch Griechisch, Türkisch und Russisch sprechen. Ist das
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