Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
mehr einbringt? Antiquitäten gehen immer. Das ist solider als Schauspielerei. Aber ich werde mich trotzdem verändern.«
»Wie?«
»Lass dich überraschen«, erwidert sie und küsst ihn.
Später bringt er sie nach Hause. Sie sitzt quer auf dem Gepäckträger des alten Rades. Ihre Haare flattern im Wind, ihre Arme umschlingen seine Hüfte. Ein offener britischer Jeep überholt sie, die beiden Soldaten pfeifen und rufen ihnen fröhlich etwas zu. Stave fühlt sich, als wäre er achtzehn und das erste Mal verliebt.
Als er in der Röperstraße bremst, springt sie behände ab. »Du bleibst doch«, ruft sie. Keine Frage, sondern eine Feststellung.
Das einzige Licht strömt aus dem alten, holzverkleideten Radio, das Anna anstellt. Die Barcarole aus »Hoffmanns Erzählungen«. Während Offenbachs heitere Musik durch das Zimmer weht, entkleiden sie sich flüsternd. Das weiche, gelbe Licht auf ihren Körpern.
»Ob uns die Nachbarn hören?«, fragt Stave.
Da sieht ihn Anna bloß sanft an und dreht das Radio lauter.
Später liegen sie aneinandergeschmiegt auf dem schmalen Bett, nackt und liebessatt. Stave hat keine Angst mehr, an ihrer Seite einzuschlafen und womöglich von Alpträumen geschüttelt zu werden. Es war die letzte Nacht nicht so, vielleicht wird es niemals wieder so sein. Und wenn ihn doch die Erinnerungen in seinen Träumen quälen, dann wird er seiner Geliebten auch das erklären. Er gleitet schon in den sanften Dämmer des Halbschlafes, als die Operettenmelodien, die sie seit Stunden umwehen, plötzlich von einer männlichen Stimme unterbrochen werden. Der markige Klang eines Verkünders wichtiger Nachrichten. Ganz wie früher.
»Mach bitte den Kasten aus«, murmelt Anna. Ihre Augen sind geschlossen.
Stave steht schon vor dem Radio, als die Worte endlich seinen benebelten Geist erreichen: Die Sowjets haben Berlin blockiert. Straßen, Schienen und Kanäle gesperrt, kein Strom, kein Gas, keine Kohle gelangen mehr in den Westteil der Stadt, in dem Amerikaner, Briten und Franzosen ihre Besatzungszonen eingerichtet haben. Er denkt an MacDonalds Worte. Hört das denn nie auf? Rasch schaltet er das Radio aus.
»Was haben sie gesagt?«, murmelt seine Geliebte, als er sich wieder neben sie legt.
»Nichts Wichtiges«, flüstert er beruhigend und schließt sie in die Arme.
Tatwaffe
Donnerstag, 24. Juni 1948
Stave hätte nicht gedacht, dass es auf dem Flur des Chefamtes S noch ruhiger zugehen könnte als in den vergangenen zwei Wochen. Doch nun ist es tatsächlich totenstill, als er Paul Michel über den Gang bis zu seinem Büro führt. Ungeduldig hat er auf diesen Augenblick gewartet, hat in den letzten 72 Stunden immer wieder auf die Uhr gesehen, hat sich wie ein eingesperrtes Tier gefühlt. Endlich. Der einbeinige Künstler sieht sich verwundert um, sagt aber nichts. Er trägt einen alten Pappkarton in einem Einkaufsnetz, das um seinen Hals geschlungen ist. Die Knöchel seiner Hände, mit denen er die Krücken umklammert, treten weiß hervor.
»Entspannen Sie sich«, rät ihm der Oberinspektor, während er für ihn die Tür zu seinem Zimmer öffnet. »Sie sind hier, um mir einen Gefallen zu tun, und nicht, weil Sie verhört werden.«
»Es fühlt sich aber genauso an«, gesteht Michel.
»Zeigen Sie mir Ihr Werk.«
Sein Gast lässt sich auf einen Stuhl sinken und hebt den Karton vorsichtig auf den Tisch. »Auch wenn der Ton gebrannt ist, bleibt es ein empfindliches Stück«, erklärt er, während er eine zusammengefaltete alte Zeitung heraushebt. »Ich will nicht, dass jetzt noch etwas abbricht.« Er klappt das Papier auseinander – und präsentiert schließlich ein handgroßes braunes Objekt.
»Perfekt«, murmelt Stave verblüfft. Behutsam nimmt er das Werkstück in die Rechte. Eine Kopie des Silbergriffes von Schramms Gehstock. Er legt Kienles Fotos neben das Tonobjekt auf den Schreibtisch: die gleiche Form, das Muster, mit dem der Griff verziert ist, nachgearbeitet bis in das feinste Relief.
»Es war ein großes Vergnügen«, gesteht Michel mit gerötetem Gesicht. »Endlich habe ich einmal wieder in meinem Metier gearbeitet. Und ganz legal.«
Stave denkt an Oberinspektor Dönnecke, der diesen nachgearbeiteten Griff auf keinen Fall sehen darf, sagt dazu jedoch nichts. »Sie haben sich Ihr Visum für Amerika redlich verdient«, stellt er fest.
»Das war also kein mieser Scherz?«, fragt Michel ungläubig.
Der Kripo-Beamte schreibt MacDonalds Namen und seine Zimmernummer im Gebäude der
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