Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
denken, als Packer, die nachts Briefsäcke auf Waggons laden sollten, zwei Drittel aller Glühbirnen in ihrer Halle aus den Fassungen geschraubt und verschanzt hatten. Er könnte den Kerl festnehmen, doch das würde zu viel Aufmerksamkeit erregen.
Er entdeckt eine Schreibmaschine für 12 000 Reichsmark. Eine ältere Frau, der Oberinspektor schätzt sie als Kriegerwitwe ein, verkauft eine Leica für 40 000 Reichsmark. »Mein Mann hat so gerne fotografiert und den Apparat immer gepflegt«, versichert sie leise. Anfängerin. Was würde Kienle tun, wenn er das sähe? Zuschlagen und kaufen? Es ist ein Schieber, der aus seiner Gesäßtasche lässig ein dickes Bündel zieht und der Frau einige abgegriffene Scheine reicht, um sich das Schnäppchen nicht entgehen zu lassen. Gut möglich, dass sie das letzte Erinnerungsstück an ihren Gatten verkauft hat für einen Stapel wertloses Papier.
Ein Junge verschanzt Asphaltstreifen, die er irgendwo aus einer Straße gekratzt hat. »Für das Dach«, erklärt er ernsthaft, als Stave ihn erstaunt darauf anspricht. »Das macht man über dem Feuer warm und streicht es auf die Pappe. Schon regnet es nicht mehr durch.«
Der Kripo-Mann wendet sich ab. Er sucht nach Toni Weber, dem Künstler mit seinen sehr speziellen Fertigkeiten, er hat die Karte mitgenommen und vergleicht hin und wieder unauffällig den einen oder anderen Mann mit den Fotos. Niemand. Er sucht nach gefälschten Geldscheinen oder Lebensmittelkarten. Vergebens.
Die einzige Überraschung erlebt Stave in der Nähe eines Arbeiters, der in Flaschen eine gelbe Flüssigkeit als »Bratöl« verkauft. Dort stößt er fast mit Kurt Flasch zusammen, dem Nachbarn aus der Ahrensburger Straße. Immer wieder kommt es vor, dass sich Kollegen oder Nachbarn auf dem Schwarzmarkt begegnen. Stets sind es etwas peinliche Zusammentreffen, als würden sich zwei Bekannte zufällig in einem Bordell über den Weg laufen.
»Ich dachte, Sie haben heute genug in der Landeszentralbank zu tun«, flüstert Stave erstaunt.
»Und ich hätte auch nicht vermutet, einen Oberinspektor der Kriminalpolizei auf dem Schwarzmarkt zu sehen«, gibt Flasch ebenso leise zurück.
»Die Ladung aus den Lastwagen ist verstaut?«
»So sprechen Sie doch leiser, Herr Oberinspektor!« Flasch blickt sich nervös um, obwohl Stave bloß gewispert hat. »Die Ladung ist dort, wo sie sein soll. Mehr darf ich aber wirklich nicht sagen, nicht einmal Ihnen. Hier spielen ja schon alle verrückt.«
»Und verschanzen zum Beispiel seltsame Fünf- und Zehn-Pfennig-Scheine, die nie jemand zuvor gesehen hat.«
Flasch scheint sich etwas zu entspannen. »Ach deshalb sind Sie hier? Ich nämlich auch. Der Herr Bankpräsident hat mich und einige Kollegen losgeschickt. Ihm sind da Gerüchte zu Ohren gekommen …«
»Sie sollen herausfinden, ob diese Scheine aus den Kisten herausgeflattert und bis zum Goldbekplatz geflogen sind?«
»Ich darf Ihnen wirklich nicht sagen, was in den Kisten steckt. Aber, in der Tat, wir sollen Geldscheine suchen.«
»Und?«
»Fehlanzeige. Wahrscheinlich falscher Alarm.«
»Bedauerlicherweise nicht.« Der Oberinspektor zückt seine Brieftasche und hält Flasch die beiden Noten unter die Nase.
Der wird blass. »Das sind eindeutig Fälschungen«, stammelt er.
»Das ist doch schon mal was«, murmelt der Kripo-Beamte und lässt die Blüten wieder verschwinden. »Wie viele Ihrer Kollegen bei der Bank sind losgeschickt worden? Wer weiß alles davon?«
Flasch hebt die Achseln. »Höchstens zwanzig Beamte.«
Stave wischt sich Regentropfen von der Stirn, sieht sich um und überlegt, wer alles schon von den Geldscheinen gehört, wer sie gesehen haben könnte. Auf dem Goldbekplatz sind, schätzt er, mindestens zweihundert Menschen. Zwanzig Beamte von der Bank. Ein paar Kollegen der Kripo. Eine unbekannte Zahl Engländer. Genug jedenfalls, um Gerüchte durch die ganze Stadt zu tragen. Aber auch genug, um die Geschichte zu verbreiten, dass diese seltsamen Scheine Fälschungen sind. Wenn sich das schnell herumspricht, wird man die Lappen für die dreisten Täuschungen halten, die sie sind. Dann wird niemand mehr diese Pfennig-Scheine verkaufen können – und das Vertrauen in das neue Geld wird nicht erschüttert. Hofft Stave.
»Sagen Sie Ihrem Vorgesetzten, dass auf dem Goldbekplatz lächerliche Blüten umgehen«, flüstert der Oberinspektor Flasch zu. »Reden Sie darüber auch mit den Kollegen. Je mehr Menschen von diesen nachgemachten Scheinen wissen, desto
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