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Der Faenger im Roggen - V3

Titel: Der Faenger im Roggen - V3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. D. Salinger
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Stunden, bis er bereit war.
Unterdessen ging ich ans Fenster, öffnete es und machte einen Schneeball. Der Schnee war gerade
    richtig dafür. Aber ich warf ihn nicht. Ich wollte ihn werfen, und zwar nach einem Auto, das
    auf der andern Straßenseite stand. Aber dann tat ich es doch nicht. Das Auto sah so schön und
    weiß aus. Dann zielte ich auf einen Hydranten, aber der sah auch so schön und weiß aus.
Schließlich warf ich den Schneeball also überhaupt nicht. Ich machte nur das Fenster wieder zu
    und ging mit dem Schneeball im Zimmer umher. Dabei machte ich eine immer härtere Kugel daraus.
    Als Brossard und Ackley und ich später in den Autobus stiegen, hatte ich den Schneeball immer
    noch in der Hand. Der Fahrer machte die Türen wieder auf und sagte, ich müsse ihn hinauswerfen.
    Ich antwortete, daß ich niemand anwerfen würde, aber er glaubte mir nicht. Die Leute glauben
    einem nie.
Brossard und Ackley hatten den Film in Agerstown beide schon gesehen. Deshalb aßen wir nur ein
    paar Würstchen und spielten an einem Spielautomaten herum und fuhren nach Pencey zurück. Mir
    war es gleichgültig, daß wir nicht ins Kino gingen. Es wäre ein Lustfilm mit Cary Grant und
    diesem ganzen Mist gewesen. Außerdem war ich schon einmal mit Brossard und Ackley ins Kino
    gegangen.
Beide lachten wie Hyänen über lauter Mist, der überhaupt nicht komisch war. Ich saß nicht gerne
    neben ihnen.
Es war erst Viertel nach neun, als wir heimkamen. Brossard war ein Bridgefanatiker und fing an,
    in unserem Flügel nach Partnern zu suchen. Ackley ließ sich so zur Abwechslung in meinem Zimmer
    nieder. Nur setzte er sich diesmal nicht auf die Armlehne von Stradlaters Stuhl, sondern legte
    sich auf mein Bett, mit dem Gesicht auf meinem Kissen und so weiter. Er schwätzte mit seiner
    monotonen Stimme daher und fingerte an seinen sämtlichen Pickeln herum. Ich winkte mit ungefähr
    tausend Zaunpfählen, aber ich konnte ihn nicht loswerden. Und zwar schwätzte er mit dieser
    monotonen Stimme über irgendein Mädchen, mit dem er angeblich im letzten Sommer sexuellen
    Verkehr gehabt hatte. Er hatte mir das schon hundertmal erzählt.
Jedesmal erzählte er es anders. Einmal trieb er es mit ihr im Buick von seinem Cousin, im
    nächsten Augenblick unter irgendeiner Brücke. Natürlich alles Mist. Ich wette, daß er noch
    unschuldig war. Er hatte überhaupt noch nie eine angerührt.
Schließlich sagte ich, ich müsse einen Aufsatz für Stradlater schreiben und er solle sich zum
    Teufel scheren, damit ich mich konzentrieren könne. Zu guter Letzt tat er das, aber es dauerte
    wie üblich einige Zeit. Als er weg war, machte ich mich an den Aufsatz.
Es fiel mir aber kein Zimmer oder Haus oder etwas Ähnliches ein, was Stradlater haben wollte.
    Ich reiße mich ohnehin nicht um Beschreibungen von Zimmern und Häusern. Deshalb schrieb ich
    über den Baseball-Handschuh von meinem Bruder Allie.
Das war ein gutes Thema. Wirklich. Mein Bruder Allie hatte einen Linkshänder-Fänger-Handschuh
    für Feldspieler. Er war linkshändig. Auf die Finger und überallhin hatte er Gedichte
    geschrieben. Mit grüner Tinte. Er schrieb sie darauf, damit er etwas zu lesen hatte, wenn er im
    Feld stand und keiner am Schlagen war. Allie ist tot. Er bekam Leukämie und starb, als wir in
    Maine waren, am 18. Juli 1946. Jeder hatte ihn gern. Er war zwei Jahre jünger als ich, aber
    fünfzigmal so intelligent.
Seine Lehrer schrieben meiner Mutter immer, was für eine Freude es sei, Allie in der Klasse zu
    haben. Und das war nicht nur das übliche Gewäsch. Sie meinten es wirklich ernst. Aber er war
    nicht nur der intelligenteste in unserer Familie, sondern auch der netteste, in vielen Punkten.
    Er wurde nie über jemand wütend. Rothaarige sollen sonst sehr wütend werden, aber bei Allie kam
    das nie vor, obwohl er brandrote Haare hatte. Ich will versuchen, die Farbe zu beschreiben. Ich
    fing schon mit zehn Jahren an, Golf zu spielen. Einmal im Sommer, als ich ungefähr zwölf war,
    wollte ich gerade den Ball abschlagen und hatte plötzlich das Gefühl, daß ich Allie sehen
    würde, wenn ich mich umdrehte. Ich drehte mich also um, und tatsächlich saß er draußen am Zaun
    auf seinem Rad - der ganze Golfplatz war eingezäunt - und schaute mir zu, in gut hundertfünfzig
    Meter Entfernung. So rote Haare hatte er. Er war furchtbar nett.
Manchmal lachte er bei Tisch so wild über irgend etwas, woran er gerade dachte, daß er fast vom
    Stuhl fiel.
Ich war erst dreizehn, und sie

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