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Der Faenger im Roggen - V3

Titel: Der Faenger im Roggen - V3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. D. Salinger
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Luft und alles. Nur
    tat mir von der Kälte die Nase weh, und auch die Oberlippe, wo mich Stradlater getroffen hatte.
    Er hatte mir die Lippe gegen die Zähne geboxt, innen war ein ordentlicher Riß. Immerhin hatte
    ich schön warme Ohren. An der Mütze waren Ohrenklappen, und mir war es ohnedies gleichgültig,
    wie ich aussah; ich klappte sie einfach herunter. Kein Mensch war zu sehen. Alle
    schliefen.
Ich hatte Glück, denn als ich zum Bahnhof kam, brauchte ich nur ungefähr zehn Minuten auf einen
    Zug zu warten.
Unterdessen nahm ich Schnee in die Hand und wusch mir das Gesicht damit. Es war immer noch voll
    Blut.
Im allgemeinen fahre ich gern Eisenbahn, besonders nachts, wenn die Lichter brennen und die
    Fenster so schwarz sind und ein Kellner mit Kaffee und Sandwiches und Zeitungen durch den Gang
    kommt. Meistens kaufe ich ein Schinkenbrot und vier oder fünf Magazine. Wenn ich nachts fahre,
    kann ich sogar meistens die blöden Magazingeschichten lesen, ohne daß mir das Kotzen
    kommt.
Wenn Sie wissen, was ich meine. Eine von diesen Geschichten, in denen massenhaft kitschige
    Kerle mit markigem Kinn vorkommen, die David heißen, und massenhaft kitschige Mädel, die Linda
    oder Marcia heißen und diesen verdammten Davids dauernd die Pfeifen anzünden. Aber diesmal war
    es anders. Ich hatte keine Lust zu lesen. Ich saß einfach da und tat überhaupt nichts. Ich nahm
    nur meine Jagdmütze ab und steckte sie in die Tasche.
Plötzlich stieg in Trenton die Dame ein und setzte sich neben mich. Das ganze Abteil war leer,
    weil es so spät war, aber sie setzte sich neben mich anstatt auf eine leere Bank, weil sie
    einen großen Koffer bei sich hatte und ich ganz vorne saß. Sie stellte den Koffer so, daß er
    weit in den Gang hinausstand und der Schaffner und jedermann darüber fallen mußte. Sie hatte
    Orchideen angesteckt, als ob sie von einer großen Gesellschaft oder so käme. Sie war ungefähr
    vierzig oder fünfundvierzig, schätze ich, sah aber sehr gut aus. Frauen bringen mich um. Im
    Ernst. Ich meine damit nicht, daß ich nicht übermäßig sexy bin - obwohl ich ziemlich sexy bin;
    ich mag Frauen einfach, das meine ich. Sie lassen immer ihre Koffer im Gang stehen.
Wir saßen also nebeneinander, und plötzlich sagte sie: »Entschuldigen Sie, ist das nicht ein
    Etikett von Pencey?« Dabei schaute sie auf meinen Koffer im Gepäcknetz oben.
»Ja, das stimmt«, sagte ich. Tatsächlich war ein verdammtes Pencey-Etikett auf einem der beiden
    Koffer. Ziemlich albern, zugegeben.
»So, Sie sind in Pencey?« fragte sie. Sie hatte eine angenehme Stimme. Vor allem für
    Telefongespräche geeignet. Sie hätte immer ein gottverdammtes Telefon mit sich herumtragen
    sollen.
»Ja, dort bin ich«, sagte ich.
»Wie nett! Vielleicht kennen Sie dann auch meinen Sohn. Ernest Morrow? Er ist auch in
    Pencey.«
»Ja, tatsächlich. Wir sind in einer Klasse.«
Ihr Sohn war zweifellos einer der größten Schweinehunde, die in der ganzen Pencey-Chronik
    jemals vorgekommen sind. Wenn er geduscht hatte, lief er immer im Gang herum und klatschte den
    andern sein tropfnasses Handtuch an den Arsch. Dieser Typ von Witzbold war er.
»Wie nett!« sagte sie. Aber nicht affektiert. Sie war einfach nur nett. »Das muß ich Ernest
    erzählen, daß wir uns begegnet sind. Darf ich fragen, wie Sie heißen, mein Lieber?«
»Rudolf Smith«, antwortete ich. Ich hatte keine Lust, ihr meine ganze Lebensgeschichte zu
    erzählen.
Rudolf Smith hieß der Hausmeister in unserem Flügel.
»Sind Sie gerne in Pencey?« fragte sie.
»In Pencey? Keine üble Schule. Es ist kein Paradies oder so, aber ebenso gut wie die meisten
    Schulen. Einige Lehrer nehmen ihre Sache sehr ernst.«
»Ernest ist furchtbar gern dort.«
»Ja, ich weiß«, sagte ich. Dann stürzte ich mich in das übliche Gewäsch. »Er kann sich sehr gut
    anpassen. Das kann man wirklich sagen. Ich meine, er findet sich überall zurecht.«
»Meinen Sie wirklich?« fragte sie. Es schien sie höllisch zu interessieren.
»Ernest? Ganz sicher.« Dann schaute ich ihr zu, wie sie die Handschuhe auszog. Sie hatte tolle
    Brillanten.
»Ich habe mir gerade einen Nagel abgebrochen, als ich aus dem Taxi stieg«, sagte sie. Sie sah
    mich an und lächelte ein bißchen. Ihr Lächeln war außerordentlich sympathisch. Die meisten
    Leute haben überhaupt kein Lächeln, oder ein ekelhaftes. »Sein Vater und ich machen uns
    manchmal Sorgen über ihn«, sagte sie. »Wir haben manchmal das Gefühl, daß er sich nicht

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