Der Faenger im Roggen - V3
»Was
soll das bedeuten?« fragte er.
»Nichts. Ich möchte dir nur dafür danken, daß du so ein gottverdammter Prinz bist, das ist
alles«, sagte ich betont treuherzig. »Du bist ein Prachtmensch, kleiner Ackley, weißt du
das?«
»Wie geistreich. Einmal wird dir jemand eine ordentliche Tracht-«
Ich hielt mich nicht damit auf, ihm zuzuhören. Ich machte die blöde Tür hinter mir zu und stand
im Gang.
Alle schliefen oder waren ausgegangen oder übers Wochenende heimgefahren, und es war totenstill
und niederdrückend im Gang. Vor Leahys und Hoffmanns Zimmer lag die leere Umhüllung einer
Kolynos-Tube, und ich gab ihr ein paar Tritte mit meinen pelzgefütterten Pantoffeln, während
ich auf die Treppe zu ging. Ich dachte, ich könnte unten nachsehen, was Brossard machte. Aber
plötzlich änderte ich diese Absicht.
Ganz plötzlich beschloß ich, von Pencey wegzugehen - jetzt sofort, mitten in der Nacht, und
nicht noch bis Mittwoch zu warten. Ich hatte einfach keine Lust mehr, noch länger da
herumzuhängen. Es machte mich viel zu traurig und einsam. Ich wollte in New York in ein Hotel
gehen - in irgendein billiges Hotel - und mich bis Mittwoch erholen. Am Mittwoch wollte ich
dann ausgeruht und frisch bei Kräften heimgehen.
Wahrscheinlich bekamen meine Eltern erst am Dienstag oder Mittwoch Thurmers Nachricht, daß ich
geflogen war. Ich wollte nicht heimkommen, bevor sie den Brief gelesen und verdaut hatten. Ich
wollte nicht im ersten Augenblick schon dabeisein.
Meine Mutter kann sich sehr hysterisch benehmen. Wenn sie etwas erst einmal richtig verdaut
hat, ist sie zwar gar nicht so übel. Außerdem hatte ich ein bißchen Ferien nötig. Ich war mit
meinen Nerven vollkommen runter, ganz im Ernst.
Ich entschloß mich also, wegzugehen, ging in unser Zimmer zurück und machte Licht, um meine
Sachen zu packen. Das meiste hatte ich schon gepackt. Stradlater wachte nicht einmal auf. Ich
rauchte eine Zigarette und zog mich an und packte dann meine beiden Handkoffer. Das dauerte nur
zwei Minuten. Ich kann sehr rasch packen.
Ein einziger Punkt deprimierte mich dabei. Nämlich die neuen Schlittschuhe, die mir meine
Mutter erst vor ein paar Tagen geschickt hatte. Das bedrückte mich wirklich. Ich stellte mir
vor, wie meine Mutter zu Spauldings gegangen war und dem Verkäufer einen Haufen törichte Fragen
gestellt hatte, und jetzt flog ich schon wieder von dieser Schule. Das machte mich traurig. Sie
hatte mir die verkehrten Schlittschuhe gekauft - ich wollte Rennschlittschuhe, und die hier
waren für Hockey -, aber es machte mich trotzdem traurig. Fast jedesmal, wenn mir jemand etwas
schenkt, endet es damit, daß ich traurig werde.
Als ich gepackt hatte, zählte ich mein Geld. Ich erinnere mich nicht mehr genau, wieviel es
war, aber jedenfalls ziemlich viel.
Meine Großmutter hatte mir gerade vor einer Woche einen Haufen geschickt. Sie geht sehr
großzügig damit um. Sie hat nicht mehr alle Tassen im Schrank - sie ist alt wie ich weiß nicht
was - und schenkt mir mindestens viermal im Jahr Geld zum Geburtstag. Aber obwohl ich also
reichlich versehen war, dachte ich, ein paar Dollar mehr könnten nichts schaden.
Man weiß nie. Deshalb ging ich zu Frederick Woodruff hinunter, dem ich meine Schreibmaschine
geliehen hatte. Ich weckte ihn und fragte, wieviel er mir für diese Maschine zahlen würde. Er
war sehr reich. Er sagte, er könne das jetzt nicht entscheiden. Er wolle sie eigentlich gar
nicht kaufen.
Schließlich kaufte er sie doch. Sie hatte gegen neunzig Dollar gekostet, und er bezahlte nur
zwanzig dafür. Er war schlechter Laune, weil ich ihn geweckt hatte.
Als ich mit allem fertig war, blieb ich mit meinen Koffern noch eine Weile an der Treppe stehen
und warf einen letzten Blick auf den verdammten Gang. Dabei heulte ich sozusagen.
Ich weiß nicht warum. Ich setzte meine rote Jagdmütze auf, mit dem Schild nach hinten, so wie
ich es am liebsten hatte, und schrie so laut ich konnte: »Schlaft gut, ihr Idioten!« Sicher
wachten im ganzen Stockwerk alle auf. Dann machte ich mich davon. Irgendein Esel hatte die
Treppe mit Erdnußschalen bestreut, so daß ich mir beinahe meinen verrückten Hals gebrochen
hätte.
8. Kapitel
Weil es zu spät war, um ein Taxi kommen zu lassen, ging ich den ganzen Weg zum Bahnhof zu
Fuß.
Es war nicht weit, aber höllisch kalt. Man konnte im Schnee nicht gut gehen, und die Koffer
stießen mir fortwährend an die Beine. Aber ich freute mich über die frische
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