Der Faenger im Roggen - V3
alles nur Blödsinn, und dann legte ich mich auf Elys Bett. Es war mir
reichlich schlecht. Ich fühlte mich so verdammt allein.
»In diesem Zimmer stinkt es«, sagte ich. »Ich kann sogar von hier aus deine Socken riechen.
Gibst du sie nie zum Waschen?«
»Wenn's dir nicht paßt, weißt du ja, was du tun kannst«, sagte Ackley. Wie geistreich. »Wie
wär's, wenn du dieses verdammte Licht ausdrehen würdest?«
Ich ließ es aber vorläufig noch brennen. Ich blieb auf Elys Bett liegen und dachte an Jane und
alles.
Es machte mich einfach rasend, wenn ich sie mir mit Stradlater im Auto von diesem Fettarsch Ed
Banky vorstellte.
Sobald ich daran dachte, hätte ich aus dem Fenster springen können. Ich kannte Stradlater viel
zu gut. Die meisten andern in Pencey schwätzten nur von mit Mädchen schlafen - so wie Ackley
zum Beispiel -, aber bei Stradlater war es kein Geschwätz. Ich kannte selber mindestens zwei
Mädchen, mit denen er's gemacht hatte. Das ist die reine Wahrheit.
»Erzähl mir die Geschichte deines faszinierenden Lebens, Kleiner«, sagte ich.
»Könntest du vielleicht das verfluchte Licht ausdrehen? Ich muß morgen früh in die
Messe.«
Ich stand auf und drehte es aus, um zu seinem Glück beizutragen. Dann legte ich mich wieder auf
Elys Bett.
»Was willst du weiter tun - in Elys Bett schlafen?« fragte Ackley. Er war der vollendete
Gastgeber, wahrhaftig.
»Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Mach dir keine Sorgen.«
»Ich mach mir keine Sorgen. Es wäre mir nur verdammt unangenehm, wenn Ely plötzlich käme und
fände in seinem Bett einen -«
»Beruhige dich. Ich werde nicht hier schlafen. Ich möchte deine verdammte Gastfreundschaft
nicht ausnützen.«
Ein paar Minuten später schnarchte er schon aus Leibeskräften. Ich lag im Dunkeln und
versuchte, nicht an Jane und Stradlater in dem verdammten Auto zu denken. Aber das war fast
unmöglich. Ich kannte Stradlaters Methoden leider zu gut. Einmal hatten wir zu viert in Ed
Bankys Auto gesessen.
Stradlater mit seinem Mädchen im Fond und ich vorne mit meinem. Was dieser Mensch für eine
Technik hatte! Erst fing er an, ihr zu schmeicheln, mit einer ruhigen, aufrichtigen Stimme -
so, als ob er nicht nur ein besonders hübscher Bursche wäre, sondern auch ein netter,
aufrichtiger Bursche.
Mir wurde schlecht, nur vom Zuhören. Das Mädchen sagte immer wieder: »Nein - bitte nicht. Bitte
nicht so. Bitte.« Aber er redete immer weiter mit dieser ruhigen, aufrichtigen
Abraham-Lincoln-Stimme auf sie ein, und schließlich war nur noch eine fürchterliche Stille
hinten im Wagen. Es war wirklich schlimm.
Er hat es wohl damals nicht mit dem Mädchen gemacht, aber es war nah dran. Verdammt nah.
Während ich dalag und nichts zu denken versuchte, kam Stradlater vom Waschraum zurück und ging
in unser Zimmer.
Man konnte deutlich hören, wie er sein Toilettenzeug weglegte und das Fenster aufmachte. Er war
ein Frischluftfanatiker. Kurz darauf drehte er das Licht aus. Er kümmerte sich überhaupt nicht
darum, wo ich war.
Sogar draußen auf der Straße war es deprimierend. Man hörte kein einziges Auto mehr. Mir war so
einsam und elend zumut, daß ich sogar Ackley gern geweckt hätte.
»He, Ackley«, flüsterte ich, damit Stradlater mich nicht durch die Vorhänge vom Duschraum
hörte. Aber Ackley wachte nicht auf.
»He, Ackley!« Er hörte mich immer noch nicht. Er schlief wie ein Fels.
»He, Ackley!« - Das weckte ihn endlich.
»Was ist jetzt wieder los?« fragte er. »Ich hab geschlafen, verflucht noch mal.«
»Du, was muß man eigentlich tun, um ins Kloster zu gehen?« fragte ich. Ich spielte nämlich mit
diesem Gedanken. »Muß man dafür katholisch sein und so weiter?«
»Natürlich muß man katholisch sein. Du Idiot, hast du mich mir geweckt, um blöde Fragen-«
»Ach, schlaf nur weiter. Ich geh ohnedies in keins. Bei dem Pech, das ich immer habe, käme ich
wahrscheinlich in eins, wo nur die verkehrte Sorte von Mönchen ist. Lauter gemeine Esel.
Jedenfalls Esel.«
Als ich das sagte, fuhr Ackley in seinem Bett in die Höhe.
»Hör mal«, sagte er, »über mich oder sonst etwas kannst du sagen, was du willst, aber wenn du
anfängst, über meine verdammte Religion zu -«
»Reg dich nicht auf. Kein Mensch sagt etwas gegen deine verdammte Religion.« Ich stand auf und
ging zur Tür. Ich wollte nicht mehr in dieser blöden Atmosphäre sein. Unterwegs blieb ich
stehen, nahm Ackleys Hand und drückte sie mit gespielter Herzlichkeit. Er zog sie weg.
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