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Der Faenger im Roggen - V3

Titel: Der Faenger im Roggen - V3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. D. Salinger
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auf und schob sie auf ihrem
    Bänkchen auf die Seite, um mich neben sie zu setzen - ich setzte mich ihr tatsächlich fast auf
    den Schoß.
Dann fing sie richtig an zu weinen, und als nächstes weiß ich nur, daß ich sie überall küßte -
    einfach überall -, auf die Augen, die Nase, die Stirn, die Augenbrauen, die Ohren und so weiter
    - auf das ganze Gesicht, nur nicht auf den Mund. Sie wollte mich nicht zu ihren Lippen lassen.
    Das war also das einzige Mal, daß wir uns beinah geküßt hätten. Nach einer Weile stand sie auf
    und ging ins Haus und zog den rot-weißen Pullover an, den ich so toll fand, und dann gingen wir
    in ein gottverdammtes Kino.
Auf dem Hinweg fragte ich sie, ob denn Mr. Cudahy - so hieß der Saufbruder - einmal versucht
    habe, ihr frech zu kommen. Sie war noch ziemlich jung, aber sie hatte eine tolle Figur, ich
    hätte das diesem Cudahy-Hund durchaus zugetraut. Aber sie sagte nein. Ich habe nie
    herausgefunden, was damals eigentlich los war. Bei manchen Mädchen kommt man einfach nicht
    dahinter.
Man darf aber nicht meinen, sie wäre so ein verdammter Eisberg, weil wir uns nie küßten oder
    so.
Das war sie durchaus nicht. Zum Beispiel hielten wir uns oft an der Hand. Vermutlich klingt das
    nach nichts Besonderem, aber sie war das richtige Mädchen zum Händehalten. Die meisten Mädchen
    haben dann sozusagen eine tote Hand, oder sie meinen im Gegenteil, sie müßten ihre Hand
    fortwährend bewegen, als ob sie Angst hätten, daß sie einen sonst langweilen. Jane war ganz
    anders.
Wenn wir in irgendein blödes Kino gingen, gaben wir uns von Anfang an die Hand und blieben so
    sitzen, bis der Film zu Ende war. Dabei bewegten wir uns nie und machten überhaupt keine großen
    Geschichten daraus. Mit Jane brauchte man sich nicht einmal Sorge zu machen, ob man eine
    feuchte oder trockene Hand hatte. Man wußte nur, daß man glücklich war. Und mit ihr war man
    tatsächlich glücklich.
Und ich dachte noch an etwas anderes. In so einem Kino tat Jane einmal etwas, das mich
    sprachlos machte. Es war während der Wochenschau, glaube ich, und plötzlich fühlte ich Janes
    Hand im Nacken. Komischer Einfall. Sie war ja noch ganz jung, und meistens legen nur
    Fünfundzwanzigjährige oder Dreißigjährige ihrem Mann oder ihrem Kind die Hand in den Nacken -
    ich tue es zum Beispiel manchmal bei meiner kleinen Schwester Phoebe. Aber wenn ein Mädchen
    noch so jung ist und diese Bewegung macht, ist das so nett, daß es einen umwerfen kann.
An alles dachte ich also, während ich in dem zum Erbrechen aussehenden Sessel in der Hotelhalle
    saß. Diese Jane.
Jedesmal, wenn ich sie mir mit Stradlater in dem verdammten Auto von Ed Banky vorstelle, wurde
    ich halb verrückt. Ich wußte zwar, daß sie ihn sicher nicht weit hatte kommen lassen, aber es
    machte mich trotzdem rasend. Ich habe überhaupt keine Lust, noch etwas darüber zu sagen. Es war
    fast niemand mehr in der Halle. Sogar die hurenhaft aussehenden Blondinen waren sämtlich
    verschwunden, und plötzlich hatte ich nur noch den Wunsch, mich davonzumachen. Es war zu
    deprimierend dort.
Und ich war auch noch gar nicht müde. Ich ging also in mein Zimmer und zog den Mantel an. Dabei
    schaute ich aus dem Fenster, um zu sehen, ob alle die perversen Leute noch bei der Arbeit
    wären, aber es war jetzt überall dunkel. Ich fuhr im Lift wieder hinunter und nahm ein Taxi und
    ließ mich zu Ernie fahren. Ernie heißt ein Nachtlokal in Greenwich Village, wo mein Bruder D.B.
    oft hinging, bevor er nach Hollywood übersiedelte und sich prostituierte. Manchmal hat er mich
    mitgenommen. Ernie ist ein dicker Negerpianist. Er ist ein gräßlicher Snob und spricht kaum mit
    jemand, der nicht berühmt oder sonst ein großes Tier ist, aber Klavier spielen kann er
    wirklich. Er spielt so gut, daß es schon fast zu viel ist, tatsächlich. Ich weiß nicht genau,
    was ich eigentlich damit sagen will, aber so wirkte es jedenfalls auf mich. Natürlich höre ich
    ihm gerne zu, nur hätte ich manchmal Lust, ihm das verdammte Klavier umzukippen. Wahrscheinlich
    deshalb, weil sein Spiel manchmal so klingt, als ob er mit niemand sprechen will, der kein
    großes Tier ist.

12. Kapitel
    Das Taxi war ein uralter Kasten und roch ungefähr so, als ob gerade irgend jemand darin sein
    Mittagessen wieder losgeworden wäre. Ich erwische immer diese Erbrech-Taxis, wenn ich nachts
    irgendwohin fahre. Außerdem war es draußen ganz still und menschenleer, obwohl es Samstagnacht
    war. Das machte es noch

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