Der Faenger im Roggen - V3
auf und schob sie auf ihrem
Bänkchen auf die Seite, um mich neben sie zu setzen - ich setzte mich ihr tatsächlich fast auf
den Schoß.
Dann fing sie richtig an zu weinen, und als nächstes weiß ich nur, daß ich sie überall küßte -
einfach überall -, auf die Augen, die Nase, die Stirn, die Augenbrauen, die Ohren und so weiter
- auf das ganze Gesicht, nur nicht auf den Mund. Sie wollte mich nicht zu ihren Lippen lassen.
Das war also das einzige Mal, daß wir uns beinah geküßt hätten. Nach einer Weile stand sie auf
und ging ins Haus und zog den rot-weißen Pullover an, den ich so toll fand, und dann gingen wir
in ein gottverdammtes Kino.
Auf dem Hinweg fragte ich sie, ob denn Mr. Cudahy - so hieß der Saufbruder - einmal versucht
habe, ihr frech zu kommen. Sie war noch ziemlich jung, aber sie hatte eine tolle Figur, ich
hätte das diesem Cudahy-Hund durchaus zugetraut. Aber sie sagte nein. Ich habe nie
herausgefunden, was damals eigentlich los war. Bei manchen Mädchen kommt man einfach nicht
dahinter.
Man darf aber nicht meinen, sie wäre so ein verdammter Eisberg, weil wir uns nie küßten oder
so.
Das war sie durchaus nicht. Zum Beispiel hielten wir uns oft an der Hand. Vermutlich klingt das
nach nichts Besonderem, aber sie war das richtige Mädchen zum Händehalten. Die meisten Mädchen
haben dann sozusagen eine tote Hand, oder sie meinen im Gegenteil, sie müßten ihre Hand
fortwährend bewegen, als ob sie Angst hätten, daß sie einen sonst langweilen. Jane war ganz
anders.
Wenn wir in irgendein blödes Kino gingen, gaben wir uns von Anfang an die Hand und blieben so
sitzen, bis der Film zu Ende war. Dabei bewegten wir uns nie und machten überhaupt keine großen
Geschichten daraus. Mit Jane brauchte man sich nicht einmal Sorge zu machen, ob man eine
feuchte oder trockene Hand hatte. Man wußte nur, daß man glücklich war. Und mit ihr war man
tatsächlich glücklich.
Und ich dachte noch an etwas anderes. In so einem Kino tat Jane einmal etwas, das mich
sprachlos machte. Es war während der Wochenschau, glaube ich, und plötzlich fühlte ich Janes
Hand im Nacken. Komischer Einfall. Sie war ja noch ganz jung, und meistens legen nur
Fünfundzwanzigjährige oder Dreißigjährige ihrem Mann oder ihrem Kind die Hand in den Nacken -
ich tue es zum Beispiel manchmal bei meiner kleinen Schwester Phoebe. Aber wenn ein Mädchen
noch so jung ist und diese Bewegung macht, ist das so nett, daß es einen umwerfen kann.
An alles dachte ich also, während ich in dem zum Erbrechen aussehenden Sessel in der Hotelhalle
saß. Diese Jane.
Jedesmal, wenn ich sie mir mit Stradlater in dem verdammten Auto von Ed Banky vorstelle, wurde
ich halb verrückt. Ich wußte zwar, daß sie ihn sicher nicht weit hatte kommen lassen, aber es
machte mich trotzdem rasend. Ich habe überhaupt keine Lust, noch etwas darüber zu sagen. Es war
fast niemand mehr in der Halle. Sogar die hurenhaft aussehenden Blondinen waren sämtlich
verschwunden, und plötzlich hatte ich nur noch den Wunsch, mich davonzumachen. Es war zu
deprimierend dort.
Und ich war auch noch gar nicht müde. Ich ging also in mein Zimmer und zog den Mantel an. Dabei
schaute ich aus dem Fenster, um zu sehen, ob alle die perversen Leute noch bei der Arbeit
wären, aber es war jetzt überall dunkel. Ich fuhr im Lift wieder hinunter und nahm ein Taxi und
ließ mich zu Ernie fahren. Ernie heißt ein Nachtlokal in Greenwich Village, wo mein Bruder D.B.
oft hinging, bevor er nach Hollywood übersiedelte und sich prostituierte. Manchmal hat er mich
mitgenommen. Ernie ist ein dicker Negerpianist. Er ist ein gräßlicher Snob und spricht kaum mit
jemand, der nicht berühmt oder sonst ein großes Tier ist, aber Klavier spielen kann er
wirklich. Er spielt so gut, daß es schon fast zu viel ist, tatsächlich. Ich weiß nicht genau,
was ich eigentlich damit sagen will, aber so wirkte es jedenfalls auf mich. Natürlich höre ich
ihm gerne zu, nur hätte ich manchmal Lust, ihm das verdammte Klavier umzukippen. Wahrscheinlich
deshalb, weil sein Spiel manchmal so klingt, als ob er mit niemand sprechen will, der kein
großes Tier ist.
12. Kapitel
Das Taxi war ein uralter Kasten und roch ungefähr so, als ob gerade irgend jemand darin sein
Mittagessen wieder losgeworden wäre. Ich erwische immer diese Erbrech-Taxis, wenn ich nachts
irgendwohin fahre. Außerdem war es draußen ganz still und menschenleer, obwohl es Samstagnacht
war. Das machte es noch
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