Der Faenger im Roggen - V3
wäre. Das Mädchen
wiederholte immer: »Wie schrecklich! Laß das doch, Liebling, bitte. Nicht hier.« Man stelle
sich vor, daß einer gleichzeitig an einer herumfummelt und von einem Selbstmordversuch erzählt!
Das gab mir den Rest.
Ich kam mir vor wie der Arsch eines Derbysiegers, so mutterseelenallein dazusitzen. Ich konnte
nur rauchen und trinken. Aber ich sagte dem Kellner wenigstens, er solle Ernie fragen, ob er
Lust hätte, ein Glas mit mir zu trinken. Ich sagte, ich sei D.B.s Bruder. Vermutlich richtete
er meine Aufforderung überhaupt nicht aus. Diese Hunde richten nie etwas aus.
Plötzlich kam dieses Mädchen an meinen Tisch und sagte: »Holden Caulfield!« Sie hieß Lillian
Simmons. Mein Bruder D.B. war früher einmal mit ihr gegangen. Sie hatte einen mächtigen
Busen.
»Hi«, sagte ich. Natürlich versuchte ich aufzustehen, aber das war ein Akrobatenkunststück. Ihr
Begleiter war ein Marineoffizier, der einen Stock verschluckt zu haben schien.
»Wie wunderbar, daß wir uns hier begegnen!« sagte Lillian Simmons. Reines Getue. »Wie geht es
deinem großen Bruder?«
Natürlich wollte sie nur das wissen.
»Glänzend! Er ist in Hollywood.«
»In Hollywood! Wie wunderbar! Was macht er dort?«
»Ich weiß nicht. Schreiben«, sagte ich. Ich war nicht zu albernen Erklärungen aufgelegt.
Offenbar fand sie es großartig, daß er jetzt in Hollywood war. Fast jedermann ist dieser
Ansicht. Vor allem die Leute, die seine Kurzgeschichten nicht kennen. Mich macht das
rasend.
»Wie aufregend«, sagte die gute Lillian. Dann stellte sie mich dem Marineoffizier vor,
Commander Blop oder so ähnlich. Er gehörte zu den Leuten, die sich verweichlicht vorkämen, wenn
sie einem bei der Begrüßung nicht mindestens vierzig Finger brechen würden. Ich hasse diesen
Typ. »Bist du ganz allein, Baby?« fragte Lillian. Sie verursachte eine Verkehrsstauung im Gang.
Natürlich war ihr das gerade angenehm. Der Kellner wartete darauf, daß sie ihm Platz machte,
aber sie beachtete ihn überhaupt nicht. Es war komisch. Man sah deutlich, daß der Kellner sie
nicht ausstehen konnte und daß sogar der Marineoffizier sie nicht besonders gern mochte, obwohl
er mit ihr ausging. Und auch mir war sie nicht sympathisch. Kein Mensch fand sie sympathisch.
Sie konnte einem leid tun. »Bist du allein hier, Baby?« fragte sie. Ich stand jetzt glücklich
aufrecht, und sie forderte mich nicht einmal auf, mich wieder zu setzen. Sie war eine von
denen, die einen stundenlang stehen lassen. »Sieht er nicht gut aus?« sagte sie zu dem
Marineoffizier. »Holden, du siehst jeden Tag besser aus.« Der Marineoffizier bedeutete ihr, daß
sie weitergehen müßten. »Wir blockieren alles«, sagte er. »Holden, komm an unsern Tisch«, sagte
Lillian. »Bring dein Glas mit.«
»Ich wollte gerade gehn«, antwortete ich. »Ich bin mit jemand verabredet.« Es war
offensichtlich, daß sie sich mit mir anfreunden wollte, damit ich dann D.B. von ihr erzählen
würde.
»Schön, um so besser für dich. Sage deinem großen Bruder, wenn du ihn wieder siehst, daß ich
ihn abscheulich finde.«
Dann räumte sie das Feld. Der Marineoffizier und ich versicherten uns gegenseitig, daß wir uns
freuten, uns kennengelernt zu haben. Widerlich. Ich sage das immer, auch wenn ich jemand lieber
nicht kennengelernt hätte. Aber wenn man am Leben bleiben will, muß man eben dieses Zeug
mitmachen.
Da ich ihr gesagt hatte, daß ich mit jemand verabredet sei, blieb mir keine andere Wahl als
fortzugehen. Ich konnte nicht einmal mehr bleiben, bis Ernie etwas halbwegs Anständiges
spielte.
Aber auf keinen Fall hätte ich mich zu Lillian Simmons und dem Marineoffizier setzen und vor
Langeweile sterben wollen.
Deshalb ging ich also hinaus. Ich war wütend, als ich mir meinen Mantel geben ließ. Die Leute
verderben einem alles.
13. Kapitel
Ich ging zu Fuß ins Hotel zurück, ganze einundvierzig prachtvolle Häuserblocks weit. Das Gehen
machte mir zwar kein Vergnügen, aber noch weniger lockte es mich, wieder in einem Taxi zu
sitzen.
Manchmal hat man das Taxifahren so satt wie das Liftfahren.
Plötzlich muß man einfach zu Fuß gehen, ganz gleich, wie weit oder wie hoch. Als Kind stieg ich
oft zu Fuß in unsere Wohnung hinauf.
Bis in den zwölften Stock.
Man sah nichts mehr davon, daß es geschneit hatte. Auf den Trottoirs lag kaum noch Schnee. Aber
es war eiskalt. Ich zog meine rote Jagdmütze aus der Tasche und setzte sie auf - es war mir
absolut gleichgültig,
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