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Der Faenger im Roggen - V3

Titel: Der Faenger im Roggen - V3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. D. Salinger
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schlimmer. Nur von Zeit zu Zeit sah man ein verschlungenes Paar über
    die Straße gehen oder eine Gruppe von Strolchen mit ihren Mädchen, die alle wie Hyänen über
    etwas lachten, was ganz sicher überhaupt nicht komisch war. Es ist fürchterlich, wenn in New
    York jemand spät nachts auf der Straße lacht. Man hört es meilenweit. Man kommt sich einsam und
    elend vor. Ich wünschte mir die ganze Zeit, daß ich heimfahren und ein bißchen mit Phoebe
    schwatzen könnte. Aber nach einer Weile fingen der Fahrer und ich ein Gespräch an. Er hieß
    Horwitz. Er war viel netter als der andere, der mich ins Hotel gefahren hatte. Jedenfalls
    dachte ich, er wüßte über die Enten Bescheid.
»He, Horwitz«, sagte ich. »Kommen Sie manchmal am See im Central Park vorüber? Beim Central
    Park South?«
»Wo vorbei?«
»Am See. An dem kleinen Teich. Wo die Enten sind, wissen Sie.«
»Ja, was ist damit?«
»Haben Sie die Enten dort gesehen? Im Frühling oder so? Und wissen Sie zufällig, wo die im
    Winter hinkommen?«
»Wo wer hinkommt?«
»Die Enten. Wissen Sie das zufällig? Ich meine, holt sie wohl jemand mit einem Wagen oder
    fliegen sie von selber fort - in den Süden oder so?« Der gute Horwitz drehte sich zu mir um und
    schaute mich an.
Er war ein aufbrausender Typ. Aber nicht unsympathisch.
»Wie zum Teufel soll ich etwas so Blödes wissen?«
»Ärgern Sie sich doch nicht«, sagte ich. Irgend etwas ärgerte ihn offenbar daran.
»Wer ärgert sich hier? Ich sicher nicht.«
Ich brach die Unterhaltung ab, da er so empfindlich zu sein schien. Aber er fing von selber
    wieder an. Er drehte sich wieder um und sagte: »Die Fische kommen nirgends hin. Die bleiben, wo
    sie sind. Einfach in dem verdammten See.«
»Fische sind etwas anderes. Ich rede aber von den Enten.«
»Was soll daran anders sein? Gar nichts ist anders«, sagte Horwitz. Alles, was er sagte, klang
    gereizt. »Für die Fische ist es im Winter noch viel schlimmer als für die Enten. Herrgott noch
    mal, brauchen Sie doch Ihren eigenen Verstand.«
»Die Enten können aber doch nicht einfach so tun, als ob das Eis nicht da wäre. Sie können's
    doch nicht einfach ignorieren.«
»Wer ignoriert es denn? Keiner ignoriert es«, sagte Horwitz.
Er wurde so aufgeregt, daß ich befürchtete, er würde gegen eine Laterne oder was weiß ich
    fahren. »Sie leben einfach in dem verdammten Eis. Das ist ihre Natur, verflucht noch mal. Sie
    frieren einfach den ganzen Winter lang in einer Stellung fest.«
»So? Was fressen sie denn dann? Wenn sie festgefroren sind, können sie ja nicht herumschwimmen
    und Futter und so suchen.«
»Mit dem Körper, verdammt noch mal - wo fehlt's denn bei Ihnen? Mit dem Körper nehmen sie
    Nahrung auf, einfach durch den gottverfluchten Seetang und alles, was im Eis ist. Sie haben die
    ganze Zeit die Poren offen. Das ist einfach ihre Natur so. Verstehen Sie, was ich damit sagen
    will?« Er drehte sich wahrhaftig schon wieder um und schaute mich an.
»Aha«, sagte ich. Ich ließ das Thema fallen. Ich hatte Angst, daß wir mit dem verdammten Taxi
    verunglücken würden.
Außerdem war er so reizbar, daß eine Diskussion mit ihm kein Vergnügen war. »Wollen Sie
    irgendwo halten und eins mit mir trinken?« fragte ich.
Er gab keine Antwort. Wahrscheinlich dachte er immer noch nach. Ich wiederholte meine
    Einladung.
Horwitz war recht sympathisch. Auch unterhaltend.
»Ich hab keine Zeit zum Trinken«, sagte er. »Wie alt sind Sie überhaupt? Warum sind Sie nicht
    zu Hause und im Bett?«
»Ich bin nicht müde.«
Als ich vor dem Nachtlokal ausstieg und bezahlte, brachte er die Fische noch einmal aufs Tapet.
    Sie schienen ihn sehr zu beschäftigen. »Hören Sie«, sagte er, »wenn Sie ein Fisch wären, würde
    Mutter Natur wohl für Sie sorgen, oder nicht? Einverstanden? Oder meinen Sie vielleicht, die
    Fische sterben einfach, wenn der Winter kommt?«
»Nein, aber-«
»Damit haben Sie verdammt recht«, sagte Horwitz und fuhr wie der Teufel davon. Er war der
    empfindlichste Mensch, den man sich vorstellen kann. Alles, was man sagte, machte ihn
    wütend.
Obwohl es schon gegen Morgen ging, war es bei Ernie drinnen gesteckt voll. Hauptsächlich blöde
    Gymnasiasten und Studenten. Fast jede verdammte Schule macht früher Weihnachtsferien als die
    Schulen, in denen ich war. Es war so voll, daß man nicht einmal seinen Mantel loswerden
    konnte.
Aber trotz dieser Menschenmenge war es ziemlich still, weil Ernie Klavier spielte. Es galt
    geradezu als heilige Handlung, wenn

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