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Der Faenger im Roggen - V3

Titel: Der Faenger im Roggen - V3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. D. Salinger
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wie ich aussah. Ich stülpte sogar die Ohrenklappen herunter. Ich hätte
    gern gewußt, wer mir in Pencey die Handschuhe gestohlen hatte, denn ich fror an den Händen.
    Allerdings hätte ich auch nicht viel unternommen, wenn ich den Gauner gekannt hätte. Ich bin
    ein großer Feigling.
Ich versuche es zu verbergen, aber deshalb bin ich trotzdem einer. Wenn ich in Pencey zum
    Beispiel herausgefunden hätte, wer dieser Gauner war, hätte ich ihn vermutlich in seinem Zimmer
    aufgesucht und zu ihm gesagt: »So, wie wär's, wenn du mir die Handschuhe zurückgeben würdest?«
    Dann hätte der Betreffende wahrscheinlich mit der unschuldigsten Stimme gefragt: »Welche
    Handschuhe?«
Dann hätte ich in seinem Schrank nachgesehen und die Handschuhe gefunden. In seinen verdammten
    Gummischuhen versteckt oder so. Ich hätte sie genommen und ihm vor die Nase gehalten und
    gesagt: »Sind das vielleicht deine verdammten Handschuhe?« Dann hätte er mich verlogen
    unschuldig angeschaut und geantwortet: »Die hab ich überhaupt noch nie gesehen. Nimm sie nur,
    wenn sie dir gehören. Ich will sie nicht.« Dann wäre ich wohl fünf Minuten mit den verdammten
    Handschuhen dagestanden und hätte gespürt, daß ich ihm jetzt einen Kinnhaken versetzen
    müßte.
Aber ich hätte es nicht fertiggebracht. Ich hätte nur dagestanden und versucht, aggressiv
    auszusehen.
Vielleicht hätte ich auch irgendwas Rotzfreches gesagt, anstatt ihm einen Kinnhaken zu
    geben.
Jedenfalls hätte er sich dann vor mich hingestellt und hätte gesagt: »Hör mal, Caulfield,
    behauptest du vielleicht, daß ich stehle?« Anstatt darauf zu antworten: »Ganz richtig, das
    behaupte ich, du dreckiger Gauner!« hätte ich wahrscheinlich gesagt: »Ich weiß nur, daß meine
    verdammten Handschuhe hier in deinen Gummischuhen waren.« Von da an wäre er sicher gewesen, daß
    ich ihm nichts tue; er hätte gesagt: »Hör mal, das wollen wir klarstellen. Behauptest du, daß
    ich stehle?«
Darauf hätte ich wieder nur geantwortet: »Kein Mensch redet hier von Stehlen. Ich weiß nur, daß
    meine Handschuhe in deinen verdammten Gummischuhen waren.« Auf diese Weise hätte es stundenlang
    weitergehen können. Schließlich wäre ich hinausgegangen, ohne ihm auch nur ein Haar zu
    krümmen.
Wahrscheinlich hätte ich im Waschraum eine Zigarette geraucht und vor dem Spiegel aggressive
    Gesichtsausdrücke geübt.
Über solches Zeug dachte ich auf dem ganzen Rückweg ins Hotel nach. Es ist kein Spaß, wenn man
    feig ist. Vielleicht bin ich nicht durch und durch feig. Ich weiß nicht. Vielleicht bin ich
    auch nur teilweise feige und teilweise ein Mensch, der sich nicht viel daraus macht, wenn er
    seine Handschuhe verliert. Das ist einer meiner Fehler - ich mache mir nie viel daraus, wenn
    ich etwas verloren habe.
Als ich noch klein war, machte das meine Mutter rasend.
Manche Leute können tagelang nach etwas suchen, das sie verloren haben. Mir liegt an nichts so
    viel. Vielleicht bin ich aus diesem Grund feige. Das ist zwar keine Entschuldigung - natürlich
    nicht. Man sollte überhaupt nicht feig sein. Wenn man spürt, daß man jemandem einen Kinnhaken
    geben müßte und eigentlich Lust dazu hätte, dann sollte man es auch tun. Ich bin allerdings gar
    nicht dafür begabt. Ich könnte einen Menschen leichter zum Fenster hinauswerfen oder ihn mit
    einer Axt enthaupten als ihm einen Kinnhaken geben.
Boxkämpfe sind mir verhaßt. Es macht mir nichts, wenn ich selber getroffen werde - obwohl es
    mich selbstverständlich auch nicht gerade begeistert -, aber schrecklich finde ich in einem
    Boxkampf das Gesicht des Gegners. Ich ertrage es einfach nicht, sein Gesicht anzusehen - das
    ist meine größte Schwäche. Es wäre viel weniger schlimm, wenn beide mit verbundenen Augen oder
    ich weiß nicht wie kämpfen könnten. Bei näherer Betrachtung ist das eigentlich eine komische
    Art von Feigheit, aber Feigheit ist es jedenfalls doch. Ich mache mir nichts vor.
Ich wurde immer deprimierter, je länger ich über die Handschuhe und meine Feigheit nachdachte,
    und nach einer Weile beschloß ich, irgendwo noch etwas zu trinken. Bei Ernie hatte ich nur drei
    Whiskies getrunken, und den letzten sogar nur halb. Ich vertrage unglaublich viel. Ich kann die
    ganze Nacht trinken, ohne daß man es mir anmerkt, wenn ich entsprechend aufgelegt bin. In
    Whooton kaufte ich einmal mit einem andern - Raymond Goldfarb hieß er - eine Flasche Whisky und
    trank sie am Samstagabend in der Kapelle mit ihm aus, wo uns

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