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Der Faenger im Roggen - V3

Titel: Der Faenger im Roggen - V3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. D. Salinger
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noch nicht heraus,
    und man sah kaum etwas anderes als Hundedreck und Zigarrenstummel und von alten Männern
    ausgespucktes Zeug. Die Bänke sahen so aus, als ob man naß würde, wenn man sich
    daraufsetzte.
Es war deprimierend, und ohne Grund bekam man im Gehen eine Gänsehaut. Man hatte gar nicht den
    Eindruck, daß Weihnachten bald käme oder daß überhaupt irgend etwas käme.
Aber ich ging doch bis zu der Stelle, wo Phoebe meistens Rollschuh fährt. Am liebsten fährt sie
    bei der Orchestertribüne.
Komisch, als Kind hatte ich genau die gleiche Stelle am liebsten.
Aber ich sah sie nirgends, als ich dort ankam. Ein paar Kinder trieben sich auf Rollschuhen
    herum, und zwei Jungen spielten mit einem Ball, aber keine Phoebe. Immerhin sah ich ein kleines
    Mädchen, das ungefähr gleich alt war wie Phoebe. Sie saß ganz allein auf einer Bank und machte
    sich die Rollschuhe fest.
Vielleicht kannte sie Phoebe und konnte mir sagen, wo sie war.
Ich setzte mich also neben sie und fragte: »Kennst du vielleicht zufällig Phoebe
    Caulfield?«
»Wen?« fragte sie. Sie hatte lange Hosen an und ungefähr zwanzig Pullover. Offenbar hatte ihre
    Mutter sie gestrickt, denn sie waren ganz unförmig.
»Phoebe Caulfield. Sie wohnt in der Seventy-first Street. Sie geht in die vierte Klasse, in der
    -«
»Kennst du sie?«
»Ja, ich bin ihr Bruder. Weißt du, wo sie ist?«
»Geht sie in die Klasse von Miss Callon?« fragte das Mädchen.
»Ich weiß nicht. Ja, ich glaube.«
»Dann ist sie wohl im Museum. Wir sind am letzten Samstag dort gewesen.«
»In welchem Museum?« fragte ich.
Sie zuckte die Achseln. »Weiß nicht«, sagte sie. »Im Museum .«
»Ja, aber in dem, wo Bilder sind, oder wo die Indianer sind?«
»In dem mit den Indianern.«
»Danke vielmals«, sagte ich. Ich stand auf und wollte gehen, aber dann fiel mir ein, daß heute
    Sonntag war. »Heut ist aber Sonntag«, sagte ich.
Sie schaute zu mir auf. »So. Dann ist sie nicht dort.«
Sie hatte die größte Mühe, ihre Rollschuhe festzuschrauben.
Sie hatte keine Handschuhe, und ihre Hände waren ganz rot und kalt. Ich half ihr dabei. Großer
    Gott, ich hatte seit Ewigkeiten keinen Rollschuhschlüssel mehr in die Hand genommen. Aber es
    kam mir gar nicht ungewohnt vor. Man könnte mir noch in fünfzig Jahren im Stockdunkeln so einen
    Schlüssel in die Hand geben, und ich wüßte sofort, was es ist. Sie bedankte sich sehr, als wir
    fertig waren. Sie war ein höfliches und nettes kleines Mädchen. Das habe ich furchtbar gern,
    wenn ein Kind so nett und höflich ist, nachdem man ihm die Rollschuhe festgeschraubt hat oder
    so. Die meisten Kinder sind so. Im Ernst. Ich fragte, ob sie eine Tasse Schokolade oder so mit
    mir trinken wolle, aber sie sagte: »Nein, danke.« Sie sei mit ihrer Freundin verabredet.
Kinder sind immer mit irgendwelchen Freunden verabredet. Das wirft mich jedesmal um.
Obwohl es Sonntag war und Phoebe also nicht mit ihrer Klasse dort sein konnte - und obwohl es
    so feucht und abscheulich war -, ging ich durch den ganzen Park zum Naturhistorischen Museum.
    Ich wußte, daß das kleine Mädchen dieses Museum gemeint hatte. Ich kannte dieses ganze
    Museumszeug auswendig. Phoebe ging in die gleiche Schule, in der ich früher gewesen war, und
    wir gingen damals die ganze Zeit ins Museum. Unsere Lehrerin, eine Miss Aigletinger, schleppte
    uns fast an jedem verdammten Samstag dorthin.
Manchmal sahen wir die Tiere an und manchmal die Sachen, die früher die Indianer gemacht
    hatten. Tongeschirr und Strohkörbe und lauter so Zeug. Es macht mich immer noch glücklich, wenn
    ich daran denke. Sogar heute noch. Wenn wir die Indianerabteilung angesehen hatten, gingen wir
    meistens in irgendeinen Film im großen Auditorium.
Man zeigte uns immer, wie Kolumbus Amerika entdeckte und eine furchtbare Mühe hatte, bis
    Ferdinand und Isabella ihm Geld liehen, damit er sich Schiffe kaufen konnte, und wie dann die
    Matrosen meuterten und so. Niemand machte sich viel aus dem guten Kolumbus, aber wir nahmen
    immer haufenweise Süßigkeiten und Kaugummi mit, und in diesem Auditorium roch es so gut. Es
    roch immer so, als ob es draußen regnete, auch wenn das schönste Wetter war, und als ob man am
    einzigen trockenen, gemütlichen Ort auf der Welt säße. Ich hatte dieses verdammte Museum
    wahnsinnig gern. Der Weg ins Auditorium führte durch den Indianischen Saal. Dieser Saal war
    sehr lang, und wir durften nur flüstern. Die Lehrerin ging voraus und die ganze Klasse hinter
    ihr her, in

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