Der Faenger im Roggen - V3
ist alles Mist. Wenn ein Mädchen toll aussieht, wenn sie
kommt, wer schert sich dann darum, ob sie zu spät kommt? Kein Mensch. »Wir müssen uns eilen«,
sagte ich. »Es fängt um zwanzig vor drei an.« Wir gingen wieder die Treppe hinunter zu den
Taxis.
»Wohin gehen wir?« fragte sie.
»Ich weiß nicht. Zu den Lunts. Ich habe nur dafür Karten bekommen können.«
»Die Lunts! Das ist ja wunderbar!«
Ich hatte genau gewußt, daß sie außer sich geraten würde, wenn sie das hörte.
Auf der Fahrt ins Theater küßten wir uns ein bißchen. Zuerst wollte sie nicht, wegen dem
Lippenstift und so, aber ich war wahnsinnig drauf aus, und ihr blieb keine andere Wahl.
Zweimal, als das verdammte Taxi plötzlich bremste, wäre ich beinah vom Sitz gefallen. Diese
Chauffeure geben nie acht, wo sie hinfahren. Dann - daran kann man sehen, wie verrückt ich bin
- sagte ich ihr nach einer großen Umarmung, daß ich sie liebte und alles. Natürlich war das
eine Lüge, aber als ich es sagte, meinte ich es eben wirklich. Ich bin vollkommen verrückt. Im
Ernst.
»Liebling, ich lieb dich auch«, antwortete sie. Dann sagte sie im gleichen Atemzug: »Versprich
mir, daß du dir die Haare länger wachsen läßt. Diesen kurzen Schnitt hat man nicht mehr. Und
deine Haare sind so hübsch.«
Hübsch, sagte sie, bei meinem Arsch!
Das Stück war nicht so übel, wie viele andere, die ich gesehen hatte. Immerhin war es auf der
Schundseite. Es schilderte fünfhunderttausend Jahre aus dem Leben eines Ehepaares. Es fängt an,
als sie noch jung sind und die Eltern von ihr nicht wollen, daß sie ihn heiratet, aber sie
heiratet ihn doch. Dann werden sie immer älter. Der Mann muß in den Krieg, und seine Frau hat
einen Bruder, der Alkoholiker ist. Ich brachte kein brennendes Interesse dafür auf. Es war mir
ziemlich gleichgültig, wenn irgendein Familienmitglied starb oder sonst etwas mit ihm
passierte. Es waren eben nur Schauspieler. Das Ehepaar war ganz sympathisch - sehr geistreich
und so -, aber ich konnte wirklich nicht teilnehmen. Erstens tranken sie durch das ganze Stück
Tee oder sonst eine verdammte Flüssigkeit. Jedesmal, wenn man sie wiedersah, servierte ihnen
ein Butler Tee, oder die Frau schenkte jemandem Tee ein. Und fortwährend kam jemand herein oder
ging hinaus - man wurde ganz schwindlig von all den Leuten, die sich setzten oder aufstanden.
Alfred Lunt und Lynn Fontanne stellten das Ehepaar dar. Sie spielten gut, aber ich fand sie
nicht sympathisch. Immerhin muß ich sagen, daß sie anders waren als die übrigen. Sie benahmen
sich zwar nicht wie natürliche Menschen, aber auch nicht wie Schauspieler. Es ist schwer zu
beschreiben. Sie benahmen sich eher so, als ob sie wüßten, daß sie Berühmtheiten waren. Sie
spielten gut, aber eben zu gut. Wenn ein Ehepartner seine Rede gehalten hatte, antwortete der
andere blitzschnell etwas. Das sollte den Eindruck von Leuten erwecken, die wirklich zusammen
sprechen, sich ins Wort fallen und so weiter. Aber der Fehler war eben, daß es zu beabsichtigt
wirkte. Ihre Art erinnerte mich ein bißchen an die Art, wie Ernie draußen im Village Piano
spielte. Wenn man etwas zu vollkommen macht, muß man sehr achtgeben, daß keine Aufschneiderei
daraus wird. Denn dann ist es schon nicht mehr so vollkommen. Aber wie gesagt, die Lunts waren
die einzigen im ganzen Stück, die wenigstens intelligent wirkten. Das muß ich zugeben.
Nach dem ersten Akt gingen wir mit allen andern hinaus, um eine Zigarette zu rauchen. Das war
eine herrliche Versammlung.
Lauter affektierte Esel, die wie besessen rauchten und laut über das Theaterstück redeten,
damit jeder hören und bewundern könnte, wie geistreich sie redeten. Neben uns stand irgendein
blöder Filmschauspieler mit seiner Zigarette. Ich kann mir seinen Namen nicht merken. Er spielt
in Kriegsfilmen immer einen Burschen, der Angst bekommt, bevor es überhaupt losgeht. Seine
Begleiterin war eine kolossale Blondine, und beide versuchten sich möglichst blasiert
aufzuführen, als ob sie gar nicht wüßten, daß alle Leute zu ihnen hinschauten.
Hinreißend bescheiden.
Das machte mir großen Spaß. Sally schwärmte zwar über die Lunts, sagte aber sonst nicht viel,
weil sie vollauf mit Herumschauen und Charmant-Sein beschäftigt war. Dann sah sie plötzlich auf
der andern Seite des Foyers einen Jüngling, den sie kannte. Einen in dem üblichen dunkelgrauen
Flanellanzug mit karierter Weste. Typisch Ivy League. Überwältigend. Er
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