Der Faenger im Roggen - V3
überzeugt.
Als ich aus dem Mumienraum kam, mußte ich in die Toilette.
Weil ich so eine Art Durchfall hatte, falls jemand die ganze Wahrheit wissen will. Der
Durchfall war mir ziemlich gleichgültig, aber als ich aus der Toilette kam, wurde ich gerade
vor der Tür ohnmächtig. Dabei hatte ich noch Glück, ich meine, ich hätte mir ja beim Umfallen
den Hals brechen können, aber ich landete nur auf der Seite.
Komischerweise war es mir nachher besser. Tatsächlich. Der Arm tat mir zwar etwas weh, aber ich
war nicht mehr so schwindlig.
Unterdessen war es ungefähr zehn nach zwölf. Ich ging also wieder an die Tür und wartete auf
Phoebe. Ich dachte, daß ich sie jetzt vielleicht zum letztenmal sehen würde. Ich meine, ich
stellte mir vor, daß ich meine Verwandten zwar irgendwann wiedersehen würde, aber sicher viele
Jahre lang nicht. Vielleicht käme ich zurück, wenn ich fünfunddreißig oder so wäre, dachte ich,
falls jemand krank würde und mich vor seinem Tod noch einmal sehen wollte, aber jedenfalls
würde ich meine Blockhütte nur aus diesem einzigen Grund verlassen. Ich malte mir sogar meine
Rückkehr aus.
Meine Mutter wäre natürlich wahnsinnig aufgeregt und würde weinen und mich bitten, daß ich
dableiben und nicht wieder in meine Blockhütte gehen solle, aber ich ginge trotzdem fort. Ich
wäre ganz kühl und gelassen. Ich würde sie beruhigen und dann im Wohnzimmer an den Tisch gehen
und mir eine Zigarette aus der Schachtel nehmen, ganz kühl und gelassen. Ich würde sie alle
zwar auffordern, mich gelegentlich zu besuchen, aber bestehen würde ich nicht darauf. Nur die
gute alte Phoebe ließe ich in den Sommerferien und Weihnachtsferien und Osterferien zu mir
kommen. Und auch D.B. dürfte eine Zeitlang kommen, wenn er einen schönen, friedlichen Ort zum
Schreiben brauchte, aber Filme dürfte er in meiner Hütte nicht schreiben, sondern nur
Erzählungen und Bücher.
Es wäre mein Gesetz, daß niemand, der mich besuchte, etwas Verlogenes tun dürfte. Falls jemand
etwas Verlogenes tun wollte, könnte er nicht bei mir bleiben.
Plötzlich schaute ich auf die Uhr über der Garderobe und sah, daß es fünfundzwanzig vor eins
war.
Ich bekam Angst, daß die alte Dame in der Schule vielleicht dem andern Fräulein gesagt haben
könne, man solle Phoebe meinen Zettel nicht geben. Vielleicht hatten sie ihn verbrannt oder so.
Ich bekam wirklich eine Heidenangst. Ich wollte Phoebe unbedingt sehen, bevor ich mich auf den
Weg machte.
Ich hatte ja noch ihr Weihnachtsgeld und alles.
Endlich kam sie doch. Ich sah sie durch die Glastür. Ich erkannte sie von weitem, weil sie
meine verrückte Jagdmütze auf dem Kopf hatte - die rote Farbe sah man meilenweit. Ich machte
die Tür auf und ging ihr über die Steintreppe hinunter entgegen. Ich verstand nur nicht, warum
sie einen großen Koffer mitbrachte. Sie kreuzte gerade die Fifth Avenue und schleppte dabei
diesen verdammten großen Koller. Sie konnte ihn kaum tragen. Im Näherkommen sah ich, daß es
mein eigener alter Koffer war, den ich früher in Whooton gehabt hatte. Ich konnte mir absolut
nicht vorstellen, was sie damit wollte. »Hi«, sagte sie, als wir voreinander standen. Sie war
von diesem blöden Koffer ganz außer Atem.
»Ich hatte schon gemeint, daß du vielleicht gar nicht kommst«, sagte ich. »Was zum Teufel ist
denn da drin? Ich brauche nichts. Ich gehe so fort, wie ich bin. Ich hole nicht einmal die
Koffer am Bahnhof. Was zum Teufel hast du da drin?«
Sie stellte den Koffer auf den Boden. »Meine Kleider«, sagte sie. »Ich geh mit. Darf ich?
O.K.?«
»Was?« sagte ich. Ich fiel fast um, als sie das sagte. Ganz im Ernst, das schwöre ich. Ich
wurde wieder schwindlig und dachte, ich fiele wieder ohnmächtig um oder was weiß ich.
»Ich bin im Nebenlift hinuntergefahren, damit Charlene mich nicht sieht. Er ist gar nicht
schwer. Ich hab nur zwei Kleider und meine Mokassins drin und Wäsche und Socken und noch ein
paar Sachen. Versuch, gar nicht schwer. Heb ihn einmal... Kann ich nicht mit? Holden? Darf ich
nicht? Bitte.«
»Nein. Halt die Klappe.«
Ich dachte, ich würde ohnmächtig. Ich meine, ich wollte ihr eigentlich nicht sagen, daß sie die
Klappe halten solle, aber ich dachte eben, daß ich wieder ohnmächtig würde.
»Warum nicht? Bitte, Holden! Ich tu gar nichts - ich will nur mit dir fort, sonst nichts! Ich
nehm auch die Kleider nicht mit, wenn du nicht willst - ich nehm nur meine -«
»Du nimmst überhaupt nichts mit.
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