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Der Faktor X

Der Faktor X

Titel: Der Faktor X Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andre Norton
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5
     
    Rot und Silber – als hätten sich Feuer und Eis in geheimnisvoller Weise vereinigt, um diese Mauern zu errichten, denn dies war eine Stadt, und in ihr bewegten sich Gestalten, die nur gleitende, fließende Schatten waren, niemals klar und deutlich erkennbar. Aber, das konnte Diskan vage spüren, sie bewegten sich sinnvoll, wenngleich auch nicht in seinem oder seiner Rasse Sinn. Und die Schatten berührten ihn mit einer Eindringlichkeit, schienen nach ihm zu greifen, hüllten ihn ein, machten ihn unsicher, wenn er auch das Warum nicht ergründen konnte – nur das Gefühl, daß er tiefer und tiefer in das Herz aus Eis und Feuer hineingezogen wurde, um einen entscheidenden Ritus zu erleben.
    Manchmal, wenn er diesen Schatten folgte, ragte plötzlich ein Teil der Stadt klar und deutlich vor ihm empor, und nur für einen kurzen Augenblick klaren Sehens erkannte er eine Schnitzerei, einen Eingang, ein Treppenhaus, das inmitten dieses Traums Wirklichkeit wurde. Aber obgleich er solche Erscheinungen zu erreichen suchte, die in dem eigenartig flüssigen, verschwommenen Leben um ihn herum Sicherheit zu sein schienen, wurde er immer wieder von einem Fluß erfaßt und vorbeigetragen, dessen Strömung er nicht begegnen konnte.
    Dann kam Geräusch zum bloßen Bild; ein Ton, den er ebensowenig definieren konnte wie die Natur der Schatten. Und der Ton war ein Teil seiner selbst, drang bis in sein Knochenmark, verband ihn mit der Stadt und ihrem Zweck, bis Diskan die Geburt der Panik erkannte. Noch stärker kämpfte er gegen den Sog des Stromes an, bemühte er sich, den Kampf gegen die Strömung zu gewinnen.
    Vision, Geräusch, und nun auch der Geruch – ein Geruch, der ihm vage vertraut schien. Dort, in einem der Flecken, die er klarer erkennen konnte, war eine Säule – oder war es ein Baum, ein Baum mit roten Blättern? Diskan nahm all seine Kraft zusammen. Wenn er seine Arme um den Stamm werfen konnte, konnte er sich vielleicht aus dem Strom befreien.
    Fühlten seine Finger die Struktur der Borke? Der Ton schlug in seinen Ohren wie das Pulsieren seines eigenen Herzschlags, während die Stadt sich in einen rasenden Wirbel aus Rot und Silber, Silber und Rot verwandelte, bis schließlich alle Farben eins waren.
    Aber immer noch hielten seine Finger etwas umkrampft … Keuchend kam Diskan zu sich. Er stand knietief im Schnee, und seine dürftig behandschuhten Finger hielten einen der Baumstämme umkrampft, während die gefrorenen Blätter über ihm im Wind klangen. Der Boden unter ihm schimmerte hell, denn die Schneedecke reflektierte das Licht der rasenden Monde. Er sah die scharfe Trennlinie zwischen dem Schatten und dem freien Land.
    Sein Feuer glomm noch als ein kleines rotes Auge, aber von der Glut kräuselte ein Rauch hoch, der nicht das gelbliche Weiß eines normalen Feuers hatte. Er erkannte ihn deutlich gegen den schneeweißen Hintergrund und sah auch die rotglühenden Funken, die mit ihm aufstiegen.
    Diskan kämpfte sich aus der Schneewehe frei und taumelte zurück zum Feuer. Ein beklemmender süßlicher Geruch ging von ihm aus. Hustend, mit der Hand vor dem Gesicht herumwedelnd, ging er um das Feuer herum, um den Wind in den Rücken zu bekommen. Jetzt sah er, womit das Feuer genährt worden war: mit Blättern von den Bäumen.
    Er nahm einen Ast und stocherte in den Resten herum, so daß sie zerbrachen. Die glimmenden Reste sandten noch einmal puffend einen Funkenregen in die Luft. Diskan sog gierig kalte, klare Luft in seine Lungen. Jeder träumte einmal, das stand fest, aber die Phantasiegebilde, von denen er sich jetzt erst hatte lösen können, waren anders gewesen als jeder Traum, den er je gehabt hatte. Obgleich im Detail so vage, war alles doch so wirklich gewesen. War der Rauch von den Blättern dafür verantwortlich?
    Vorsorglich durchsuchte er den Stapel Feuerholz und legte alles beiseite, was vielleicht von den umstehenden Bäumen stammen konnte. Dann erweckte er das Feuer wieder zu hohen Flammen. Er wußte, welche Gefahr in solchen Träumen lag. Als er erwacht war, hatte er sich ziemlich weit vom Feuer entfernt befunden!
    Aber als er es sich wieder neben dem Feuer bequem gemacht hatte, konnte Diskan die Erinnerungen an den Traum nicht beiseiteschieben. Ganz anders als bei normalen Träumen verblaßten diese Erinnerungen nicht, sondern wurden schärfer und deutlicher, je mehr er über sie nachgrübelte. Jene kurzen, klaren Bilder, die er von der Stadt gesehen hatte – von einem

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