Der Faktor X
nur, daß er Angst davor hatte und daß er nicht wollte, daß sich dieses eigenartige Gefühl wiederholte.
Zum ersten Mal gab das Tier einen Laut von sich, ein Zischen, in dem, wie Diskan vermutete, ein wenig Ärger mitschwang. Dann, genauso zielbewußt und absichtlich wie die Bewegungen seines Kopfes erfolgt waren, ging es zum Rand des Simses, drehte sich um, hing für den Bruchteil einer Sekunde am Felsen – und war verschwunden.
»Was …?« Diskan kroch zu der Stelle, wo es verschwunden war, und kämpfte gegen ein Gefühl der Benommenheit an, als er über die Klippe blickte.
Das Tier kletterte an der Felswand entlang, sicher und wesentlich schneller, als Diskan gewagt hätte, sich zu bewegen. Als es eine bestimmte Stelle unterhalb des Simses und von Diskan entfernt erreicht hatte, begann es wieder nach oben zu klettern. Als es etwa wieder die gleiche Nähe erreicht hatte, zischte es Diskan an, und nun konnte er sich wirklich nicht länger des Gefühls erwehren, daß es offensichtlich bemüht war, ihn aus dieser Klemme herauszulotsen.
»Ich hab’ schließlich keine Klauen«, protestierte Diskan. »Für so etwas bist du besser ausgerüstet als ich.« Aber da war ein Weg … Andererseits konnte er, nun, da das Tier verschwunden war, auch den anderen Weg zurück benützen.
Das Tier kletterte weiter. Es schnellte auf ein anderes Sims, richtete sich dort auf und beobachtete den Mann. In seiner ganzen Haltung lag eine solche Überlegenheit, daß Diskan sich davon aufgestachelt fühlte.
»Na schön!« Warum er diesen blödsinnigen Versuch machte, wußte er nicht, aber sich nun umzudrehen und auf dem anderen Weg zurückzugehen unter den wachsamen Augen dieses Tiers – er konnte es einfach nicht! Wohin der Pelzige gegangen war, konnte auch ein Mensch folgen.
Ein Teil der Strecke war schwierig. Einmal glitt er aus. Er glaubte schon, das Ende sei gekommen, aber seine Finger fanden doch noch rechtzeitig Halt. Nach einer ganzen Weile erreichte er abgekämpft die andere Plattform – und fand sie leer. Im Schnee vor ihm jedoch erkannte er deutlich die Spuren der klauenbewehrten Pfoten. Sie führten nach rechts. Diskan folgte der Fährte bedenkenlos. Wäre er nicht für ihn markiert gewesen – er hätte den Ausgang aus dem Tal verpaßt. Der Geruch war diesmal stärker als bei dem Beutetier, denn die glitzernden Flecken auf dem Felsen waren immer noch feucht.
Diskan schob sich in die Felsspalte. Sie war sehr eng, und sein Umhang aus dem Kokonmaterial verfing sich an den Vorsprüngen und zerriß noch mehr, und auch er selbst mußte einige schmerzhafte Kratzer hinnehmen. Dann, nach einem letzten kraftvollen Ruck, war er draußen und befand sich offensichtlich ganz oben auf der Felswand, die das Tal umgab.
Der Boden war uneben, und von den Erhebungen hatte der Wind den Schnee weggeweht, so daß die Fußspuren des Tieres nur noch in den Senken und Furchen sichtbar waren. Diskan konnte weit hinuntersehen in die Niederungen; die Tümpel und Sumpfflecken schimmerten erstaunlich klar und blau herauf und bildeten einen deutlichen Kontrast zu dem Grau und Weiß der übrigen Landschaft.
Nahrung – zum erstenmal seit Beginn seines Aufstiegs dachte Diskan an seinen Magen. Unten im Tal hätte er vielleicht etwas jagen können. Hier oben war überhaupt nichts. Es war vielleicht am besten, hinunter ins Sumpfland zu gehen. Er suchte sich einen Weg entlang des Kammes.
Ein Blitzen zu seiner Linken erregte seine Aufmerksamkeit. Es war irgend etwas, das nicht zu diesem felsigen Land paßte. Er konnte nicht sagen, warum er sich dessen sicher war. Trotz seines Hungers bog er von dem Hang ab, der hinunter ins Sumpfland führte und wandte sich in die Richtung, aus der das Blitzen gekommen war.
Schema – dieses Blitzen erfolgte nach einem ganz bestimmten Schema! Diskan verfiel in einen leichten Trab, als er eine ziemlich ebene Strecke erreicht hatte. Ein Schema bedeutete – das war ein Signal!
Er erreichte eine kleine offene Fläche und sah hinauf zu dem Ding, das ihn angelockt hatte. Irgend jemand – vor sehr langer Zeit, dachte er, als er die verwitterten Kanten des Steines erblickte – irgend jemand, oder irgend etwas hatte eine der natürlichen Felszinnen in eine eckige Säule verwandelt. Ein kleines Stückchen unter der Spitze war ein milchigweißes Oval, aus dem in ganz bestimmten Abständen Lichtblitze drangen.
Er zählte bis fünf, dann ein Blitz, bis drei, Blitz, bis zehn, Blitz, acht – und dann das gleiche wieder. Das
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