Der Falke des Nordens
so kühn, sich ihm fast nackt zu präsentieren! “Haben Sie nichts zum Anziehen?”, erkundigte er sich.
Sie lächelte ihn betont freundlich an. “Leider hat das Hotel mir nichts zur Verfügung gestellt.”
“Ich werde dafür sorgen, dass Sie angemessene Kleidung erhalten”, versprach Khalil steif.
“Und was genau soll das heißen? Wenn Sie sich einbilden, ich würde mich in so einen Kaftan hüllen, mir ein Kopftuch umbinden und mir die Welt durch einen Schleier anschauen …”
“Trägt Rachelle so etwas?”
Nein, natürlich nicht. Die junge Frau trug ganz normale hübsche Baumwollkleider, und das Haar fiel ihr lose über die Schultern.
“Oder wollen Sie mit dieser Behauptung nur Ihre Vorurteile bekräftigen?” Es war ihm eine innere Genugtuung, zu sehen, wie sie errötete. Unvermittelt zog er das weiße Gewand aus und reichte es ihr. “Hier. Ziehen Sie es an, bis …”
“Ich möchte nichts von Ihnen, Khalil.”
Er presste die Lippen fest aufeinander. “Ziehen Sie es an!”, wiederholte er.
In ihren Augen blitzte es kurz auf, als er auf sie zukam und ihr das Kleidungsstück einfach überstreifte. Dabei berührte er mit den Fingern ganz leicht ihre nackte Haut, und sogleich verspürte sie eine so eigenartige, ihr bisher unbekannte Erregung, dass sie eine Gänsehaut bekam. Khalil, dem ihre Reaktion nicht verborgen blieb, runzelte leicht die Stirn.
“Ich werde mich um Ihre Garderobe kümmern.”
“Das erwähnten Sie bereits. Im Moment interessiert mich viel mehr, was mein Vater gesagt hat. Inzwischen haben Sie sicher mit ihm Kontakt aufgenommen und ihm Ihre Forderungen genannt.”
Er blickte sie lange und nachdenklich an. Dann drehte er sich um und schlenderte langsam zum Fenster. “Ja, das habe ich”, gab er zögernd zu.
“Und? Was hat er gesagt? Wie schnell wird er handeln?” Joanna machte einen Schritt auf ihn zu.
“Das weiß ich nicht.”
“Wieso nicht? Ich habe das Recht zu erfahren, wie lange ich noch Ihre Gefangene bin.”
“Sie werden so lange hier bleiben, bis Ihr Vater zur Vernunft kommt.”
“Also bis er das Geld, das Sie fordern, aufgetrieben hat, oder?”
“Ich verlange kein Geld von ihm!”
“Nein, natürlich nicht. Ich hatte ganz vergessen, dass Sie ja ein anständiger Mensch sind, im Gegensatz zu Abu AI Zouad”, meinte Joanna ironisch und lächelte frostig.
“Ihre Scherze ändern nichts an der Wahrheit, Joanna.”
Sie hob das Kinn. “Nein, bestimmt nicht. Angeblich ist Abu AI Zouad ein Unmensch, aber …”
“Er unterdrückt sein Volk.”
Joanna lächelte kühl. “Ich nehme an, dass Ihre Leute sich aus reinster Zuneigung und nicht aus Angst auf so lächerliche Weise vor Ihnen verneigen.” Mit Genugtuung entdeckte sie die Röte, die ihm in die Wangen stieg.
“Es ist so Sitte”, erklärte er. “Immer wieder versuche ich, sie abzuschaffen …”
“Ja.” Sie lachte auf. “Darauf wette ich.”
“Man achtet und respektiert mich. Wenn ich Fehler machen oder Missfallen erregen würde, würde man es unumwunden aussprechen.”
“Erstaunlich! Sie glauben offenbar selbst an Ihre Lügen!”
“Und was, bitte, soll das nun wieder heißen?”, erkundigte er sich mit unbeteiligter Miene.
“Das wissen Sie verdammt gut! Sie spielen hier den mildtätigen und gütigen Herrscher, aber in Wirklichkeit sind Sie …”
“Ein Dieb und ein Despot, der so viel wie möglich aus Bennettco herausholen will, oder …” Er runzelte die Stirn. Und plötzlich packte er sie so fest an der Schulter, dass Joanna aufschrie. “Sie wollen mich lediglich in ein Schema pressen. Und weil ich nicht hineinpasse, verdrehen Sie die Tatsachen so lange, bis sie mit Ihren Vorurteilen übereinstimmen!”, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
“Ich will schnellstens nach Casablanca zurück, sonst nichts”, entgegnete sie schnippisch.
“Nichts wäre mir lieber als das! Denn sogar ein giftiger Skorpion wäre mir als Gast willkommener als Sie.”
“Ich bin nicht Ihr Gast!”
“Nein, das stimmt.” Er verzog verächtlich die Lippen.
“Gut, dann setzen Sie mich in das nächste Flugzeug!”
“Erst wenn Ihr Vater meinen Bedingungen zugestimmt hat.”
“Nun, am besten lässt Ihr Pilot schon die Motoren warmlaufen, denn das Geld dürfte bereits auf dem Weg hierher sein”, erklärte Joanna von oben herab und machte eine hochmütige Kopfbewegung.
“Ihr Vater hat sich noch nicht geäußert.”
Erstaunt blickte sie ihn an. “Ich verstehe nicht.”
“Ganz
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