Der Falke des Nordens
schließen Sie nicht die Augen und schlafen wieder ein wenig?”, fragte er und lachte weich.
“Ich habe nicht geschlafen”, entgegnete sie. “Wie könnte ich auch, auf dem Rücken dieses Pferdes?”
Darauf erwiderte er nichts. Sie ritten schweigend weiter, während der Mond langsam unterging.
“Dort hinten”, sagte Khalil schließlich und wies mit der Hand in die Ferne. “Dort liegt Bab al Sama – das Tor zum Himmel, mein Zuhause.”
Joanna schaute in die angegebene Richtung. Weit hinten am Horizont erkannte sie kleine dunkle Punkte. Was mochte das sein?
“Das sind Zelte”, beantwortete Khalil ihre unausgesprochene Frage, so als könnte er ihre Gedanken lesen. “Einige meiner Leute halten noch an alten Traditionen fest.”
Erst beim Näherkommen erkannte Joanna, wie groß diese Zelte waren. Und dann hielt sie den Atem an, denn dahinter meinte sie eine befestigte Stadt zu erkennen, die im Mondlicht sehr alt und friedlich aussah. Und als sie diese schließlich erreichten, tat sich vor ihnen ein Stadttor auf, durch das sie ritten, um wenig später in einem Hof haltzumachen. Alle – auch Khalil – stiegen von den Pferden.
“Kommen Sie”, forderte er sie auf und streckte die Arme nach ihr aus.
Sie hob das Kinn und wandte sich von Khalil ab, denn sein Ton missfiel ihr, und schwang sich kurz entschlossen aus dem Sattel.
“Joanna!”, rief Khalil so zornig, dass sie sekundenlang innehielt, um danach direkt in seine Arme zu gleiten, obwohl sie genau das hatte vermeiden wollen. “Sie kleine Närrin! Haben Sie nicht gelernt, wie man auf ein Pferd steigt?”
“Ich bin nicht auf, sondern von einem Pferd gestiegen!” Sie legte ihm die Hände auf die Schultern. “Lassen Sie mich runter!”, forderte sie ihn auf.
“Pferde sind oft unberechenbar, Joanna.” Er schaute ihr in die Augen. “Man trainiert sie darauf, dass der Reiter von links aufsteigt. Wenn dann jemand von rechts kommt, kann es Probleme geben.”
“Beim nächsten Mal werde ich mich daran erinnern”, versprach sie sarkastisch. “Und nun lassen Sie mich bitte los!”
“Mit Vergnügen!” Er stellte sie so unsanft auf die Füße, dass sie nach Luft ringen musste. “Gute Nacht, Joanna. Ruhen Sie sich gut aus, denn Sie haben einen langen Tag vor sich.” Er drehte sich auf dem Absatz um und wollte verschwinden. Ungläubig schaute sie hinter ihm her.
“Gute Nacht?”, rief sie ihm nach. “Was soll das heißen? Wo soll ich denn schlafen, Khalil? Hier draußen bei den Pferden?”
Er wirbelte herum. Ganz kurz sah sie in seinem gebräunten Gesicht die weißen Zähne aufblitzen. “Ich liebe die Tiere viel zu sehr, um ihnen eine ganze Nacht lang Ihre Gesellschaft zuzumuten.”
“Mademoiselle?”
Joanna drehte sich überrascht um. Eine junge Frau mit langem, dunklem Haar stand plötzlich hinter ihr. “Ich bin Rachelle, Mademoiselle, und soll mich um Sie kümmern.”
Joanna blickte das junge Mädchen sekundenlang an und brachte schließlich ein Lächeln zustande. “Nett von Ihnen. Warmes Wasser, einen heißen Tee und ein weiches bequemes Bett könnte ich jetzt gut brauchen.”
“Gern, Mademoiselle. Wollen Sie mir bitte folgen?”
Joanna straffte die Schultern, während sie Rachelle in das Gebäude aus Stein folgte. Sie glaubte natürlich nicht ernsthaft daran, dass man ihr die Wünsche erfüllen würde.
“Ihnen muss man einen guten Schlaf wünschen, Hoheit, denn ab morgen werden Sie sich in den allergrößten Schwierigkeiten befinden!”, murmelte sie vor sich hin.
“Sagten Sie etwas, Mademoiselle?”
Joanna räusperte sich rasch. “Ich erwähnte nur, dass ich gern ein Sandwich zum Tee essen würde. Gibt es so etwas?”
Rachelle blieb kurz stehen und drehte sich zu ihr um. “Aber sicher. Mein Herr hat mir aufgetragen, dass ich all Ihre Wünsche erfüllen soll, Mademoiselle. Sie brauchen sie nur zu äußern.”
“Oh, wie wäre es dann mit einer Landkarte und einem Ticket, um von hier wegzukommen?”, erkundigte Joanna sich und lächelte strahlend.
Die junge Frau war verunsichert. “Ich verstehe nicht …”
“Sagen Sie mir einfach, wo die nächste Hauptstraße ist und wie ich sie finde.”
“Sie scherzen”, meinte das Mädchen zaghaft.
Joanna seufzte. “Ich meine es absolut ernst. Ich will nur eines, nämlich fort von hier.”
Rachelle senkte verwirrt den Kopf. “Dies ist Ihr Zimmer”, erklärte sie und öffnete die Tür, vor der sie gerade angekommen waren.
Joanna ging hinein. Der Raum war nur spärlich
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