Der Falke des Pharao
fragte Meren.
»Ja, Herr. Vater, dieses Haus, die Streitereien.« Imsetys breite Schultern hoben sich mit einem Seufzer.
Meren wartete, jedoch wieder vergeblich. »Die Arbeit lenkt Eure Gedanken von Sorgen und Ärger ab.«
»Ja, Herr.«
»Sagt mir, Imsety. Muß Euch jeder erst die Worte aussprechen, die Ihr nicht sagt, oder fürchtet Ihr Euch vor mir?«
»Ich habe viele Gedanken in meinem Kopf, Herr, aber meine Zunge, sie ist unbeholfen.«
Es war, als pflüge man ein Feld voller Steine, doch Meren zog Imsety die Ereignisse des letzten Tages aus der Nase. Er erzählte ungefähr das gleiche wie Djaper, abgesehen davon, daß er den Tag in der Gesellschaft seiner Mutter verbracht hatte. Der Mann schien sich erheblich größere Gedanken um die bevorstehende Ernte als um den Tod seines Vaters zu machen, und er fragte beständig, wann er nach Hause gehen durfte.
»Wenn ich den Mörder gefaßt habe«, sagte Meren zum dritten Mal.
»Es war Beltis. Sie hat Vater getötet.«
»Und ihn ans Flußufer gezerrt, in ein Boot geworfen und in den Tempel des Anubis transportiert?«
Imsety nickte eifrig. »Hab’ sie beim Stehlen erwischt.«
»Ihr wollt, daß ich glaube, es hätte einen Streit so laut wie Theben an einem Festtag gegeben, wenn Hormin festgestellt hätte, daß Beltis seine Schätze stahl?«
»Einer der Schreiber.«
Merens Kopf begann zu schmerzen. »Wovon sprecht Ihr?«
»Bakwerner.«
»Wißt Ihr irgend etwas über den Mord an Eurem Vater, Imsety?«
»Bakwerner haßt Vater.«
»Ich werde mich mit Bakwerner beschäftigen, nicht Ihr.« Zu diesem Zeitpunkt ertappte Meren sich dabei, wie er mit den Zähnen knirschte. »Ich will wissen, ob Hormin mit Euch ebenso grausam umgegangen ist wie mit Djaper. Es muß so gewesen sein, andernfalls hätte er Euch den Hof nicht verweigert, für dessen Erhaltung Ihr so hart arbeitet.«
Imsety zuckte die Achseln und starrte Meren an.
»Ihr tätet besser daran, zu antworten.«
»Ich habe Vater niemals zugehört.«
Meren wartete ohne Erfolg. Nach ein paar Minuten, während der Imsety ihn anstarrte und versuchte, nicht mit seinem Dolch zu spielen, sprach Meren.
»Ihm nie zugehört? Was meint Ihr damit, verdammt noch mal?«
»Seit ich ein kleines Kind war, habe ich Vaters hitzigen Worten nie zugehört.«
»Hört nicht auf, zu reden«, sagte Meren.
»Häßliche Worte, Vater, sie sind nicht wichtig. Das Land ist wichtig. Und Djaper. Nicht Vater.«
»Und Eure Mutter.«
»Mutter liebt Djaper.«
Niemals war Meren dankbarer dafür gewesen, daß er drei äußerst gesprächige Töchter hatte. Er schloß die Augen und bat diverse Götter um Geduld. Das Verhör Imsetys dauerte zweimal so lang wie die Gespräche, die er mit jedem anderen geführt hatte. Bevor er Kysen adoptiert hatte, hatte es Zeiten gegeben, in denen er die Götter gefragt hatte, warum seine Mädchen nicht als Jungen zur Welt gekommen waren. Jetzt nahm er sich vor, der Göttin der Geburt ein Opfer darzubringen. Meren öffnete die Augen und bemerkte, daß Imsety ihn anstarrte. Das Gesicht des jungen Mannes war so ausdruckslos wie eine Figur, die auf die Wand eines Tempels gemalt worden war. Aber ein kurzes Flackern in Imsetys Augen ließ den Jagdhund in Merens Herzen erwachen. Krokodile badeten häufig in der Sonne, still und ruhig, ohne daß an ihren Körpern ein Lebenszeichen zu entdecken wäre außer dem kurzen, verräterischen Heben eines Augenlides, das die gedankenlose Gier nach Fleisch enthüllte.
»Ihr sagtet, weder Ihr noch Djaper sahen, daß Euer Vater während der letzten Nacht das Haus verließ.«
Imsety starrte Meren an und machte keinerlei Versuch, Merens Blick auszuweichen. »Nein, Herr. Ich habe ihn nicht gesehen.«
Seine direkte Art war ein Spiegelbild von Djapers Offenheit. Und sie versetzte Meren in eine schwierige Lage. Denn er hatte die Erfahrung gemacht, daß die besten Lügner, diejenigen, deren Herzen voller Betrug waren, besondere Übung darin hatten, den Blick desjenigen, den sie betrogen, auf ähnlich direkte Weise zu erwidern, während die Unschuldigen an dieser Aufgabe häufig scheiterten, weil ihnen die Erfahrung im Umgang mit dem Bösen fehlte. Sie stammelten, gerieten ins Stocken und schlugen die Augen nieder. Er hätte Anubis, der Gott, der am Tag des großen Gerichts die Herzen wog, sein müssen, um Ehrlichkeit allein aus dem Gesicht und dem Gebaren eines Mannes herauszulesen.
»Befürchtet Ihr nicht, daß der Mörder Eures Vaters Euch ebenfalls ein Leid zufügen könnte,
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