Der Falke von Aryn
gehabt, so aber musste er die Klinge werfen. Der Mann in der Tür sah ihn erstaunt an und griff an seine Kehle, wo ihm ein Messer gewachsen war, und fiel nach hinten weg.
Durch die Tür sah Raban Lorentha über einen Toten steigen und sich suchend umsehen. Hinter ihr trat einer der Deserteure hinter dem Schrank hervor, wo er in Deckung gegangen war, und legte mit einer Pistole auf sie an, ein breitschultriger Schatten trat neben ihn und schlug ihm mit der flachen Hand hart vor die Stirn.
Als Lorentha herumwirbelte und drohend ihr Schwert anhob, sah sie nur den Mann, der zuckend vor ihr auf die Knie fiel. Staunend sah sie Raban vor der Baroness knien, in seinen Händen sprang ein Kettenschloss auf, er grinste breit und mit einer angedeuteten Verbeugung sprang er dann zur Seite weg.
Sie kam hastig durch die Tür und sah sich um, schaute in die feuchten Augen der Baroness und in das blasse Gesicht von Raphanaels Tochter, doch Raban war nicht mehr zu sehen.
»Lorentha!«, rief eine Stimme, sie sah auf, Raphanael rannte auf sie zu, mit der Fanfarenflinte in der Hand, und stieß sie zur Seite weg. Die Flinte spuckte mit mächtigem Getöse Rauch und Feuer und eine Menge Blei in den Raum hinter ihr, wo das, was die Flinte von Leutnant Serrik übrig ließ, bis zur nächsten Wand geschleudert wurde.
Schwer atmend standen sie da, sahen sich gegenseitig an, dann fuhren sie zugleich herum, doch es war Barlin, der dort um die Ecke kam.
»Sie sind alle tot«, sagte Barlin atemlos und wischte ein blutiges Messer an seiner Hose ab. »Nur oben sind noch zwei kreischende Huren, ich habe den letzten von den Kerlen bei einer aus dem Bett gezerrt.« Lorentha nickte, dann kniete sie sich neben die Baroness, um diese zu stützen, als sie mit zitternden Lippen und tränenüberströmt ihrem Sohn sein Kind entgegenhielt, das nun blass und bleich in seinen Armen lag. Er hielt es wie den größten Schatz mit einem Arm, während er leicht einen Finger in seine Halsbeuge legte, noch bleicher wurde und sein Ohr über den zarten Mund des Kindes hielt.
Ein Stöhnen entwich ihm, dann schrie er gequält auf, als er sein Kind an sich presste und vor und zurück wippte, es in seinen Armen hielt und drückte und liebkoste, während es schlaff in seinen Armen lag.
»Eben noch hat sie geatmet«, sagte die Baroness tonlos und sah auf die geöffnete Kette hinab, als wüsste sie nicht, was sie dort sah. »Dann tat sie einen Seufzer, ganz leise nur … und ging. Sie ist bei Jesmene, Raphanael«, weinte sie. »Jesmene wird auf sie achten, das ist der einzige Trost, den wir noch haben.«
Lorentha sagte nichts, sie sah nur hilflos zu, fühlte Raphanaels Schmerzen. Sie kannte sich mit dem Adel aus, sie hatte ja oft genug mit ihm zu tun gehabt. Es galt die Regel dort, sich von den Kindern eher distanziert zu halten, sie nahmen nicht am Leben der Eltern teil, Ammen, Gouvernanten, Hauslehrer und andere kümmerten sich um sie, nur manchmal wurden sie den Eltern präsentiert, als schien es, dass man sie erinnern müsste, dass es sie noch gab.
Erst wenn sie fünfzehn waren, die Gefahr, einen Kindstod zu erleiden, überstanden schien, erst dann schien man sie zu bemerken, aber es blieb meist eine Distanz, die wenig Liebe zuließ. Ähnlich verfuhr man mit den Frauen, auch sie starben zu oft im Kindsbett, als dass man darauf hoffen konnte, ein langes Leben mit ihnen zu teilen. Liebe spielte selten eine Rolle, die Ehe war ein Geschäft, um Macht und Reichtum zu mehren.
Als sie zu ihrem Vater zurückgekehrt war, hatte er sich sehr distanziert gezeigt, und ohne weiter darüber nachzudenken, hatte sie ihn mit anderen in einen Topf geworfen und vergessen, dass es einst anders gewesen war.
So musste er sich gefühlt haben, dachte sie jetzt, während ihr nun selbst die Tränen aus den Augen liefen. Für wen sie gerade weinte, wusste sie selbst nicht so genau, für Arin, für sich, für Raphanael oder für sie alle.
Raphanaels Schmerz zu sehen und zu fühlen, gewährte ihr einen Einblick in das, was ihr Vater gefühlt haben musste, als er Nachricht erhielt, dass ihm die Frau ermordet und ihm sein Kind genommen worden war. Jetzt erst verstand sie, dass die Distanz ihm ein Schutz gewesen war, verstand sie diese Blicke, die er immer dann auf sie geworfen hatte, wenn er dachte, sie würde es nicht sehen, sah sie die Verzweiflung, als sie ihm so trotzig entgegengeworfen hatte, dass sie ihr Leben selbst bestimmen und in die Garda gehen würde, wo, wie man ja an Vargil sah,
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