Der Fall Carnac
plötzlich. »Wir können doch einfach eine Taxe nehmen.«
Gerade in dem Augenblick fuhr ein Lieferwagen an ihnen vorüber. Es war die Bäckersfrau, die von ihrer Rundfahrt zurückkam. Sie erkannte Anne.
»Wohin wollt ihr denn?«
»Nach Haus.«
»Dann steigt hinten ein. Ich setze euch unten an der Allee ab.«
Im Nu war das Gepäck aufgeladen und der Wagen wieder unterwegs.
Wenige Minuten später hielt die Frau zwei Schritte vor dem grauen Mercedes.
Das Gepäck flog auf die Erde, die Kinder sprangen hinterher, und der Lieferwagen fuhr weiter.
Schon stand Gerhard neben dem schweren grauen Wagen. Er sah die beiden Mopeds daneben.
»Wir kommen noch nicht zu spät!« rief er voller Hoffnung. »Kommt!«
Doch sofort besann er sich. Er griff in die Tasche und zog sein Messer mit den sechs Klingen heraus. Dann hockte er sich neben das rechte Vorderrad, schraubte die Ventilkappe ab und drückte das Ventil mit dem Pfriem seines Messers herunter.
Der Pneu wurde langsam schlaff.
Und dann überstürzte sich alles.
Gerhard war kaum aufgestanden, als ein Motorrad auf der Straße auftauchte. Es war ein Beamter der Straßenpolizei.
Als er die Gruppe um den Wagen bemerkte, hielt er sein Motorrad an, wandte sich an Line und fragte: »Haben Sie eine Panne, mein Fräulein?«
In diesem Augenblick erschien auch der zweite Motorradfahrer der Streife und schob seine Maschine auf den Kippständer.
»Ist der Reifen geplatzt? Haben Sie keinen Ersatzreifen?«
»Das ist gar nicht mein Wagen«, erwiderte Line. »Er gehört einem Herrn... einem Polizeibeamten.«
Es blieb ihr keine Zeit, Erklärungen abzugeben.
Aus der Fliederhecke, die den Park umgab, sprang ein Mann auf die Straße.
Als er die Gruppe wahrnahm, zögerte er einen Augenblick, dann ging er ruhig auf seinen Wagen zu. »Verhaften Sie ihn! Er ist ein Einbrecher!« schrie Gerhard plötzlich.
Der Mann fuhr zusammen, und da erkannte er die Kinder.
»Was?« sagte er.
»Das ist der Herr«, erklärte Line. »Er hat uns erklärt, er sei Polizeibeamter.«
»Das war ein kleiner Scherz«, erwiderte der Mann lächelnd und zog eine Brieftasche aus der Jacke.
»Ich bin Inspektor einer Versicherungsgesellschaft.«
»Er hat ein Bild bei uns stehlen wollen!« rief Gerhard wieder.
»Was ist das für eine idiotische Behauptung?« sagte der Mann. »Ich habe keine Zeit.«
Er steckte die Brieftasche wieder ein, öffnete die Wagentür und setzte sich ans Lenkrad.
»Sie haben Reifenpanne«, erklärte der eine Polizist ruhig. »Einen Augenblick, bitte! Was haben Sie da für Wunden im Gesicht?«
Man sah tatsächlich lange, blutende Kratzspuren auf seiner Backe und dem Hals.
»Das war Kikri!« rief Gerhard. »Sie sehen, daß er gekratzt worden ist.«
Es rauschte heftig in den Büschen. Die beiden Studenten kamen aus der Hecke gesprungen, Peter und Ludwig hinter ihnen her.
Der Mann benutzte die Ablenkung, startete den Motor und raste davon.
Sofort sprangen die beiden Motorradfahrer auf ihre Maschinen.
Der Wagen war schon weit, doch er taumelte gefährlich von einer Straßenseite zur andern.
Die Verfolgung dauerte nicht lange.
Die Jungen rannten bis zur ersten Biegung hinterher. Doch die Straße verschwand in den Dünen, und man sah nichts mehr.
Dreizehntes Kapitel
Line und Anne erreichten das Haus als erste.
Line rannte in die Küche. Kikri, der auf dem Tisch hockte, stieß einen wütenden Schrei aus.
Mit gesträubter Halskrause, den Kamm angriffslustig erhoben, sprang der Hahn zur Tür.
»Kikri, aber Kikri!«
Anne faßte ihn und drückte ihn fest an die Brust.
Nun erschienen auch die beiden Burschen.
»Dieses Vieh ist entsetzlich!« rief der eine Student. »Es hat sich wie ein Teufel auf mich gestürzt.«
In der Küche flogen Federn herum, Stühle waren umgeworfen, Porzellanscherben bedeckten den Boden. Hier hatte es einen Kampf gegeben. Der Mann war vor dem Studenten in die Küche eingedrungen und hatte die Kratzer erhalten, die sein Gesicht zeichneten.
Tapferer Kikri! Er hatte die Festung heldenhaft verteidigt.
»Und wo ist es nun, das berühmte Bild?«
»Hier«, erwiderte Line.
Sie war auf einen Schemel gestiegen und griff nach der alten geflochtenen Einkaufstasche, die an einem Deckenbalken hing. Trockene Blätter von Lorbeer und Thymian standen über dem ausgefransten Rand.
Alle drängten sich um die Tasche.
Unten drin eine alte vergilbte Zeitung. Und unter der Zeitung das Porträt von Nanou in seinem vergoldeten Rahmen.
Das gab einen
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