Der Fall Carnac
macht er am wenigsten Schmutz.«
Der Ausflug führte über das Feld der Menhire. Peter wollte dort fotografieren. Die Mädchen stellten sich an einen besonders großen Stein, auf dem Gerhard saß.
Am Strand von Carnac schlenderten oder lagen die Sommergäste in der Sonne. Das Meer, von einem tiefen Grün, kräuselte sich zum Horizont. Ein Motorboot zog einen Wasserskifahrer im Kielwasser hinter sich her. Die Strandpromenade war mit Wagen und Spaziergängern angefüllt.
Plötzlich stieß Anne einen Schrei aus und faßte nach Lines Arm.
»Da sind sie! Die beiden aus dem Zelt.«
Die beiden jungen Männer kamen ihnen entgegen, ihre Mopeds, mit Säcken beladen, vor sich herschiebend.
Die Kindergruppe blieb dicht zusammengedrängt in dem Menschengewühl stehen.
»He, Sie!« rief Gerhard.
Die beiden Burschen wandten den Kopf.
»Sie erkennen uns nicht«, sagte Anne leise.
Line ging ihnen resolut entgegen.
»Entschuldigen Sie bitte«, sagte sie. »Wir haben Ihnen etwas zu sagen.«
Sofort versammelte sich die Gruppe um die beiden. Doch ein gebieterischer Hupton forderte sie auf, die Fahrbahn freizumachen.
»Hier herüber!« sagte der eine der jungen Leute und schob sein Moped an die niedrige Gartenmauer einer Villa.
»Wollen Sie nach Ker Mario?«
»Ja. Aber... Woher wissen Sie das?«
»Fahren Sie nicht dorthin! Ein Mann sucht Sie.«
»Es ist ein Gangster«, flüsterte Gerhard.
»Halt den Mund!« knurrte Peter.
»Ein Gangster?« Die Burschen lachten laut auf. »Was ist denn das für eine Geschichte?«
»Wir müssen es Ihnen erklären«, sagte Line.
Recht und schlecht gab sie mit Wiederholungen und neuen Anfängen, zehnmal von den andern unterbrochen, einen reichlich verschwommenen Bericht von ihren Abenteuern.
Die jungen Männer waren zunächst belustigt und skeptisch, nahmen die Sache jedoch bald ernst, und schließlich waren sie es, die hundert Fragen zu stellen hatten.
»Aus welcher Zeit stammt das Bild?«
»Etwa 1890.«
»Neunzig, das wäre also Manet, van Gogh, Cézanne, nicht wahr?«
»Cézanne ist niemals hier gewesen. Van Gogh auch nicht.«
»Dann gab es die Schule von Pont-Aven. Das sind Gauguin, Sérusier, und ich weiß nicht mehr, wer noch. Ich bin auf diesem Gebiet nicht allzu beschlagen, wissen Sie.«
»Jedenfalls habe ich noch nie etwas von Sauvage gehört.«
»Vielleicht war das ein Freund der andern. Ein Bursche, der mittlerweile vergessen ist.«
»Und trotzdem wollte der Gangster unbedingt das Bild haben?«
»Ja, das ist ja das Merkwürdige.«
»Wissen Sie, wenn er uns sucht, ist es doch am einfachsten, wir lassen uns von ihm finden. Dann erfahren wir am leichtesten, was er auf dem Herzen hat. Und dann sind wir es, die ihm Fragen stellen können.«
»Nein«, rief plötzlich der andere junge Mann, »wir brauchen ja nur zu Le Coz zu gehen.«
»Das ist ein Freund von uns«, erklärte er den Kindern. »Ihm gehört die Buchhandlung >Seewind< neben dem Kurhaus. Er hat sehr schöne Werke über Kunst und versteht sehr viel von moderner Malerei. Der wird uns Bescheid sagen können.«
»Also los!« erwiderte der andere. »Dann wollen wir keine Zeit verlieren. Sie, mein Fräulein, sind die Größte und begleiten Jakob zu Le Coz. Wir können uns nicht alle in seinen Laden drängen. Wir erwarten Sie hier. Beeilen Sie sich aber!«
Zwei Minuten später traten Line und Jakob in die Buchhandlung.
Ein junger Mann legte zwei Engländern gerade Reiseführer vor. Die beiden Ausländer wollten das Feld der Menhire genau besichtigen.
Beim Eintritt der beiden jungen Leute hob der Buchhändler den Kopf und begrüßte den Studenten mit einer freundschaftlichen Geste.
»Eine Minute, ich stehe dir gleich zur Verfügung... Und Sie, mein Fräulein?«
»Ich bin mit dem Herrn gekommen«, erwiderte Line.
»Deine Schwester?«
»Fast«, entgegnete Jakob.
Der Student führte Line zu den Regalen mit den schönen Kunstbüchern. Sie blätterten aufs Geratewohl ein wenig. So viele Bücher standen hier!
Als der Buchhändler seine Kunden bedient hatte, kam er zu den beiden.
»Du, der alles weiß, mußt uns belehren«, begann Jakob. »Wir suchen Aufklärung über einen gewissen Sauvage, einen Maler, der in der Zeit von Gauguin hier in der Gegend gearbeitet haben soll, etwa um die Jahre...«
»1888 oder 89«, sagte Line.
»89... 89? Sauvage sagen Sie? Er hat Sauvage gezeichnet?«
»Das weiß ich nicht«, erwiderte Line, »wir haben keine Signatur gefunden, aber jemand hat uns gesagt, daß er sich Sauvage
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