Der Fall Carnac
wurden Streichhölzer angerissen. Hinter den Kerzenflammen erschienen struppige Köpfe mit entsetzten Augen. Die Verbindungstür wurde geöffnet, und alle prallten in Morgenmänteln oder Schlafanzügen, die Leuchter in der Hand, aufeinander.
»Habt ihr das gehört? Was kann das sein?«
»Sie greifen uns vom Dach aus an«, rief Gerhard, plötzlich hellwach.
»Sei still!« brummte Peter ärgerlich und hielt doch für möglich, was der Kleine gesagt hatte.
»Wir wollen nachsehen«, sagte Line.
»Nein, nein, ich habe Angst«, keuchte Anne.
»Hör zu! Das ist ganz einfach. Du gehst hinunter ins Erdgeschoß und stellst dich neben das Telefon. Wenn irgendwas nicht stimmt, rufst du die Gendarmerie an. Weißt du die Nummer?«
»Ja, 72 34 42.«
»Gut, ich gehe mit den Jungen hinauf. Ich glaube zwar nicht, daß irgend etwas geschehen ist, aber falls doch...«
»Dann rufen wir >Telefon<, und du wählst die Nummer.«
»Ja«, erwiderte Anne. »Genoveva, du kommst mit!«
»Ich gehe hinauf«, erklärte Gerhard. »Hiermit fürchte ich mich vor keinem Menschen.«
Er schwang einen schweren Bronzeleuchter, den er vom Kamin genommen hatte.
Line zuckte die Achseln.
»Es wird gar nichts sein. Vielleicht eine Katze, die irgendwas umgeworfen hat.«
Peter und Ludwig gingen lautlos die steile Treppe hinauf und hoben ihre Kerzen über den Kopf.
Der Sturm hatte nachgelassen. Man hörte nur noch das Rauschen einer Regenrinne, das jedoch auch allmählich aufhörte.
Als sie oben angekommen waren, blickten sie sich nach allen Seiten um.
»Ich sehe nichts«, sagte Peter.
»Gar nichts«, bestätigte Ludwig.
Line trat neben sie. Man sah tatsächlich nichts anderes als ihre großen Schatten, die sich bewegten.
»Das Weiße dort unten neben der Mauer?«
»Ja richtig, auf dem Fußboden.«
Sie schauten aufmerksam hin.
»Das ist ein großer Stein«, sagte Gerhard, der sich mittlerweile zwischen die Älteren gedrängt hatte.
Alle vier gingen nebeneinander auf die Wand zu.
Es war tatsächlich ein großer Stein, noch ganz von Mörtel eingehüllt.
»Hier ist er herausgefallen«, sagte Peter und zeigte auf die Stelle oben in der Mauer, unmittelbar unter dem Balkenwerk. »Seht nur das Loch!«
»Oh«, rief Ludwig, »und da der Riß! Dieses ganze Stück Mauer wird einstürzen.«
»Ja, an dieser Seite hat der Firstbalken gar keine Stütze mehr. Wir müssen etwas dagegen tun.«
Peter schaute sich suchend um. Er bemerkte einige Bretter und Balkenstücke, die die Arbeiter in eine Ecke gestellt hatten, als das Dach repariert worden war. »Damit läßt sich die Sache ausbessern.«
Alle machten sich an die Arbeit. Ein Brett auf den Fußboden, ein Pfosten daraufgestellt und als Stütze unter den Firstbalken geklemmt.
»So, nun besteht einstweilen keine Gefahr mehr. Da kann der Wind blasen. Der First ist gut abgesteift.«
Aus dem Erdgeschoß kam ein ängstlicher Ruf.
»Es ist nichts«, schrie Line hinunter. »Ihr könnt heraufkommen.«
Nun mußte man Anne alles erklären, die voller Angst war und alles genau wissen wollte. War der Stein wirklich so groß? Und dieser Riß, würde der sich nicht vergrößern? Und konnte der Firstbalken nicht herabstürzen?
Sie war völlig außer Fassung.
»Wenn man sich vorstellt, wieviel Geld Mama gerade erst für die Instandsetzung des Daches bezahlt hat. Man müßte das ganze Balkenwerk und die Mauern auch reparieren lassen. Alles...«
Am Ende ihrer Kraft, brach sie in Weinen aus, das Gesicht in die Hände gelegt.
Die andern waren bedrückt und wußten nicht, was sie sagen sollten.
Da trat Gerhard zu ihr.
»Weine nicht«, sagte er, »von dem Geld für das Bild wird die Überholwerft wieder neu gemacht.«
Schließlich, am vierten Tag, ging die Sonne an einem weiten blauen Himmel auf.
»Ob wir heute Nanou besuchen?« sagte Anne. »Diesmal alle. Sie soll uns von diesem Paul Sauvage erzählen. Vielleicht kann sie uns neue Einzelheiten mitteilen.«
»Unterwegs werden wir die Besorgungen machen und ein Picknick in den Dünen veranstalten.«
»Gehen wir zu Fuß?«
»Natürlich, es ist ja nicht weit.«
Rasch hatte man sich angezogen und das Frühstück verzehrt.
»Und das Bild«, fragte Line, als sie aufbrechen wollten,: »nehmen wir das mit?«
»Es wäre sicherer«, erwiderte Anne.
»Ihr seid ja verrückt!« rief Ludwig. »Wir lassen es in seinem Versteck. Das ist so gut, daß es kein Mensch finden kann.«
»Sperren wir Kikri im Haus ein!« sagte Peter.
»In der Küche«, riet Line, »da
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