Der Fall Carnac
Mann, der Chef der Familie. Selbst Loute würde auf seine Ansicht hören. Vielleicht würde sie ihm sogar erlauben, ihren Citroen zu fahren...
»Deine Idee ist großartig«, sagte er mit Überzeugung. »Ich mache mit.«
Er war jetzt völlig wach und ebenso aufgeregt wie seine Schwester.
»Und die Eltern«, sagte er, »glaubst du, daß die einverstanden sind?«
»Sie werden einverstanden sein«, erwiderte Line, »wenn wir ihnen klarmachen...«
»Daß wir ohne sie auskommen können!«
»Ja. Und daß uns das sogar mal gut tut... für unsere Erziehung, verstehst du?«
Beide mußten lachen.
»Vor allen Dingen dürfen sie nicht glauben, wir brächten ein Opfer.«
»Wir bringen ja auch kein Opfer«, erklärte Peter. »Wer redet denn von Opfer? Nach Spanien fahren wir ein andermal. In der Überholwerft wird’s viel schöner, wenn wir allein sind.«
»Das finde ich auch«, erwiderte Line hingerissen.
Als die Zwillinge aufwachten, wurden sie von dem Entschluß ihrer älteren Geschwister unterrichtet. Die beiden Großen erklärten ihnen, daß das Leben in der Überholwerft ohne die Eltern schrecklich interessant sein werde. Ein richtiges Schloßleben, wo jeder tun konnte, was er wollte. Sie versprachen Genoveva, daß sie sämtliche Eierkuchen und Gebäcksorten backen dürfe, die sie ausprobieren wolle, und Gerhard könne mit Peter und Ludwig auf die Jagd gehen. Sie seien ja schließlich keine Säuglinge mehr. Die Eltern hätten das zwar noch nicht begriffen, aber es sei trotzdem wahr — schon lange.
»Laßt uns nur reden«, erklärte Line, »ihr braucht nur zu allem ja zu sagen.«
»Wehe euch, wenn ihr dummes Zeug quasselt!« rief Peter. »Dann schlage ich euch den Schädel ein. Verstanden?«
Beim Frühstück wurde der erste Angriff auf Mama geführt.
»Heute nacht ist mir eine Idee gekommen«, begann Line. Und sie setzte Mama alles auseinander.
»Vor allem wegen Papa, weißt du, es war ihm doch so wichtig, mit diesem spanischen Herrn über Espinola zu sprechen.«
»Es wäre ja unvernünftig!« fiel Peter ein. »Wir kommen allein sehr gut zurecht. Line ist vierzehn und ich dreizehn. Wenn man in dem Alter nicht allein fertig wird, ist man ein Idiot!«
Es folgte eine Aufzählung aller Jungen und Mädchen aus ihrem Bekanntenkreis, die wie Erwachsene handelten.
Mama begriff sofort, daß sich im Lauf der Nacht eine Verschwörung gebildet hatte. Sie betrachtete die vier zu ihr aufgehobenen Gesichter und las in allen gleichzeitig Entschlossenheit und gespannte Erwartung. >Mein Gott<, dachte sie, plötzlich traurig, >sie träumen schon davon, uns zu verlassen...<
Sie sah einen nach dem andern an. Keine Spur von Bedauern oder Traurigkeit bei der Aussicht auf eine Trennung. Im Gegenteil. Und die Zwillinge? Ja, sogar den Zwillingen schien der Gedanke, allein zu verreisen, zu behagen.
»Ja«, sagte sie, »die Idee finde ich ausgezeichnet, Line. Es ist schön von euch, daß ihr an Papa und an Loute denkt. Wir wollen abwarten, was Papa zu euerm Plan sagt. Und dann müssen wir auch Loute noch um ihre Ansicht fragen.«
»Und du, bist du denn einverstanden?«
Das war so echt Peter. Er wollte sofort eine klare Antwort.
»Im Prinzip ja.«
»Dann ist ja alles bestens eingerührt.«
»O Peter! Diese Ausdrucksweise!«
Peter bemerkte den wütenden Blick, den seine Schwester ihm zuwarf. Jetzt, wo alles so gut ging, konnte er schließlich auf sein Mundwerk aufpassen!
»Ich meinte ja nur, wenn du einverstanden bist, dann ist Papa auch einverstanden. Papa tut alles, was du willst. Stimmt doch?«
Die Schmeichelei war so dick aufgetragen, daß Mama wider Willen lächeln mußte.
»Nun, das werden wir heute mittag ja sehen.«
Doch die Entscheidung wurde an diesem Mittag noch nicht gefällt. Die Eltern verschanzten sich hinter Loutes Beschluß.
Die Kinder erklärten sich bereit, den Brief aufzusetzen. Und dann hieß es warten.
Drei Tage später traf Loutes Antwort ein. Es war ein Triumph für die Kinder. Loute war einverstanden. Sie setze unbedingtes Vertrauen in Line und Peter. Anne und Ludwig wüßten sich vor Freude nicht zu fassen. So würden alle die Ferien richtig genießen können. Und das sei herrlich.
Am nächsten Tag kam ein zweiter begeisterter Brief, an Line und Peter gerichtet und von Anne und Ludwig unterschrieben. Welche Freude, daß sie alle wieder zusammensein würden! Sie wollten große Ausflüge und Picknicks vorbereiten. Sie könnten im Meer angeln. Aber das sei noch nicht alles.
Stellt Euch vor, es
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