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Der Fall Carnac

Der Fall Carnac

Titel: Der Fall Carnac Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel-Aimé Baudouy
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ausgelegt hatte, wiederzugeben. Doch er verschob die Angelegenheit auf später.
    Nun war Ruhe eingekehrt. Die Apfelsine ging von Hand zu Hand. Sie war sehr groß, runzlig, ein wenig blaß und nicht sehr verlockend. Selbst die Kleinen fanden, es sei besser, sie für später aufzuheben.
    Hunger und Durst waren vergangen. Auch der Abschiedsschmerz. Im Augenblick bemühten sich die Zwillinge, die Namen der kleinen Bahnhöfe zu lesen, die an ihnen vorüberflogen.
    Nur Lines Abschiedsschmerz war nicht vergangen. Sie kam sich sehr alt vor, sehr viel älter als ihre jüngeren Geschwister. Zu sehen, wie Papa und Mama zurückblieben, das hatte ihr das Herz zusammengepreßt.
    Peter war in die Lektüre einer Illustrierten vertieft. Die Zwillinge plapperten bald wie Papageien. Sie selber aber saß mit ihrer Not, die sie für sich behalten mußte, ganz allein, die Apfelsine in der Hand, die niemand wollte und die sie nachher mit den Fingern würde schälen müssen, da ihr eben einfiel, daß sie das Taschenmesser mit dem Perlmuttergriff, das eigens für die Reise gekauft worden war, vergessen hatte.
    Sie hob den Kopf und fing das mitleidige Lächeln auf, das ihr die eine der beiden alten Damen auf der Bank gegenüber zuwarf. Line bemerkte, daß auch die andere alte Dame sie beobachtete, und ebenso die dritte Dame neben dem dicken Herrn, der sich schon zum Schlafen eingerichtet und den Kopf an das Polster gelehnt hatte.
    Die drei Damen hatten sie wohl schon seit der Abfahrt beobachtet und die Tränen und den Kauf der Apfelsine miterlebt.
    Es war alles gut gegangen, Gott sei Dank, und Line glaubte in den Blicken der drei Reisegefährtinnen warme Zustimmung zu lesen!

    Ein kräftiges Klopfen an der Scheibe zum Gang ließ alle auffahren. Der Zugführer!
    »Die Fahrkarten bitte, meine Damen und Herren!« Peter sprang auf und suchte fieberhaft in allen Taschen.
    »Ich habe sie«, sagte Line. »Du weißt doch, Papa hat sie mir gestern abend gegeben.«
    Zuerst war besprochen worden, daß Peter die Fahrkarten einstecken sollte, doch dann hatte sich herausgestellt, daß seine Taschen ungeeignet dafür waren. Deshalb hatte Line schließlich den Auftrag erhalten, sie an sich zu nehmen.
    Erleichtert vertiefte sich Peter wieder in seine Lektüre, und Line machte gelassen die Handtasche auf.
    Seit der Brief von Anne und Ludwig gekommen war, hatten sich Line und Peter immer wieder über diese geheimnisvolle Geschichte von Gespenstern, die Einbrecher waren, unterhalten.
    Line fühlte sich ein wenig beunruhigt und hatte überlegt, ob sie nicht den Eltern davon erzählen müsse. Aber dann wäre es gar nicht mehr in Frage gekommen, daß sie allein in die Überholwerft gefahren wären. Deshalb redete sie sich ein, daß Ludwig sicher nur Spaß gemacht habe.
    Aber Peter nahm die Sache ernst. Mehrmals hatte er geäußert, daß es am besten sei, wenn er sich einen Revolver beschaffe. Doch im schlimmsten Fall habe er ja immer noch sein Fahrtenmesser. Und da es in der Überholwerft ein Gewehr gebe, seien sie für alles gerüstet.
    Und jetzt, wo der Zug sie mit mehr als hundert Stundenkilometern zur Überholwerft trug, zeichnete sich der Gedanke an das Abenteuer, dem sie entgegenfuhren, immer klarer in ihrem Geist ab.
    >Ob es wirklich ein Scherz ist?< überlegte Line besorgt. Und Peter: >Vielleicht ist es ja doch nur ein Scherz!< Und obwohl sie sich insgeheim fast nur noch mit dieser Frage beschäftigten, verloren sie auf der ganzen Fahrt nicht ein Wort darüber.
    Es nutzte nichts, daß Peter immer wieder erklärte, sie hätten noch eine gute Stunde zu fahren; die Sorge, sie könnten die Station verpassen, machte die Geschwister unruhig.
    »Vor zwei Stunden hast du auch schon gesagt, es dauert noch eine Stunde«, rief Genoveva.
    Über diese Bemerkung mußten die Mitreisenden lachen, und Peter dachte verärgert, daß es den Jüngeren wirklich an Erziehung fehle. Er schwor sich, das alsbald in Ordnung zu bringen.
    Schon mehrmals hatte Gerhard verkündet, er sehe das Meer, doch jedesmal war es nur eine Wolke zwischen zwei Hügeln, auf denen Kiefern und Stechginster wuchsen. Aber als der Zug dann wirklich in den Bahnhof von Auray einfuhr, passierte es ausgerechnet ihm, daß er in der Toilette saß und mit großem Geschrei herausgeholt werden mußte.
    Loute stand schon da, als sie ausstiegen, das strahlende Gesicht zu ihnen emporgehoben und die Arme ausgebreitet.
    »Willkommen! Willkommen! Habt ihr eine gute Fahrt gehabt?«
    Und dann gab es Küsse, einen auf jede

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