Der Fall Carnac
Backe und noch einen als Zugabe.
»Mama hat mich angerufen und mir die Nummer eures Wagens genannt. Mein Gott, wie groß ihr geworden seid! Du bist blaß, Genoveva, fühlst du dich nicht wohl? Habt ihr gefrühstückt? Wollt ihr im Wartesaal etwas essen? Line, Liebling, wie schick du bist! Wie ich mich freue, euch wiederzusehen! Anne und Ludwig sind rein närrisch, schon den ganzen Morgen. Sie kommen uns entgegen. Habt ihr auch nichts vergessen? Eure Koffer? Keine Pakete? Gebt mir das, ihr Zwillinge! Wer hat die Fahrkarten? Gut, nun also los!« Wahrhaftig, das waren schon die Ferien! Loute war immer noch die alte, lebhaft, klein, mit rundem Gesicht und goldbrauner Haut, das Haar kurz und straff, im Wesen jungenhaft zupackend und von fröhlichem Schwung.
Loutes kleiner Citroën war zartgrün, ein wenig verstaubt und mit einem ausgeblichenen Verdeck von blauschwarzer Farbe. Schrammen und Beulen an den Kotflügeln verrieten den langen Gebrauch nur zu deutlich.
»Da ist die >Krabbe<«, sagte Loute, »die Königin der Autos!«
»Peter, du setzt dich neben mich«, bestimmte Loute, »und gibst auf die Tür acht. Bei schlechten Wegstrecken springt sie manchmal auf. Die andern schließen gut. Nun steigt ein!«
Das war nicht ganz einfach mit den vielen Koffern, doch schließlich waren die Reisenden und ihr Gepäck untergebracht.
Beim ersten Versuch sprang der Motor mit dem Rattern einer Nähmaschine an, und der Wagen schoß wie ein junger Ziegenbock davon.
Die kleinen, von steinernen Mäuerchen eingefaßten Felder, der blühende Ginster, die Kiefern und vor allem der blaue Himmel mit dem wunderbaren Licht vom Ufer des Meeres!
Wie fern Paris lag! Und dennoch wurde nur von Papa und Mama gesprochen, von ihrer Reise, von dem geheimnisvollen Espinola und von dem Buch, das allmählich fertiggestellt wurde.
»Und dieses Gespenst?« rief Line plötzlich.
»Ach ja, das Gespenst, das Gespenst!« wiederholten die Zwillinge ganz aufgeregt.
»Welches Gespenst denn?« fragte Loute.
»Das mit einer Stearinkerze spazierengeht! Anne und Ludwig haben uns geschrieben...«
Loute ließ das Lenkrad los und hob die Arme zum Himmel.
»O diese Dummköpfe! Von Gespenstern haben sie euch geschrieben! Ich habe ja ihren Brief nicht gelesen. Und nun wette ich, daß ihr Angst habt.«
»Nein, gar nicht. Im Gegenteil. Mich reizen Gespenstergeschichten. Stimmt das wirklich? Gibt es ein Gespenst in der Überholwerft?«
»Was für eine Geschichte!« rief Loute lachend. »Ich fürchte, ihr werdet sehr enttäuscht sein. Wahrscheinlich hat Ludwig einen Widerschein des Mondes auf der Fensterscheibe gesehen und Anne, die nicht sehr mutig ist, eine Tür zuschlagen hören. Weiter nichts. Und da schreiben sie euch von Gespenstern! Ihr werdet euch schön über sie lustig gemacht haben!«
Peter drehte sich zu Line um und zwinkerte ihr zu. Loute wußte also anscheinend gar nichts.
Fröhlich fuhren sie dahin, während alle zur gleichen Zeit redeten, lärmend lachten und die »Krabbe« munter über die Löcher der Straße holperte.
Loute lenkte sie mit leichter Hand, fast als ob sie überhaupt nicht ans Fahren dächte; und trotzdem konnte man sicher sein, daß sie scharf aufpaßte.
Von Zeit zu Zeit, sobald eine Steigung die Geschwindigkeit herabsetzte, griff Loute nach dem Ganghebel, zog ihn an sich oder schob ihn mit einer schwungvollen Armbewegung von sich weg, als müsse sie ein Feuer in den Eingeweiden des Motors schüren. Dann ratterte die »Krabbe« noch lauter und machte einen wütenden Satz, der Peter in Entzücken versetzte.
»Da sind sie!« rief Loute auf einmal.
Am äußersten Ende einer langen, geraden Wegstrecke bemerkten die Kinder zwei winzige blaue Gestalten. »Sie müssen wie die Verrückten gefahren sein! Sie sind bestimmt klatschnaß.«
»Sind es nicht drei? Ludwig hat doch jemand auf der Stange.«
»Oh«, rief Loute, »sie haben Kikri mitgebracht. Diese Affen!«
>Kikri? Kenne ich nicht<, dachte Peter. >Das muß ein Hund oder eine Katze sein.<
Doch als die Radfahrer näher kamen, erkannte er rote und dunkelgrüne Flecke. Einen Hund oder eine Katze mit roten und grünen Flecken hatte noch kein Mensch gesehen.
»Das ist ja ein Hahn!« rief Line plötzlich.
»Ein Hahn? Ein Hahn auf einem Fahrrad?«
Die Zwillinge trampelten vor Vergnügen mit den Füßen.
Und es war wirklich ein Hahn, der da auf der Lenkstange saß und sich an Ludwigs Brust schmiegte, ein schöner Hahn mit rotem Kamm und grünen Reflexen im prächtig rotbraunen
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