Der Fall der Bücher (Kindle Single) (German Edition)
und versucht, sie mit einem Verdächtigen in Einklang zu bringen – und sei der noch so unwahrscheinlich –, dann kann man eine intelligente Ermittlung durchführen.
Es versteht sich von selbst, dass man sich die Mühe sparen kann, wenn man über genügend gerichtsmedizinische Beweise verfügt, wie zum Beispiel die Fingerabdrücke eines Verdächtigen auf der Tatwaffe. Aber das ist nicht meine Aufgabe. Ich bin Kriminalkommissar, und ich habe es zuallererst mit der menschlichen Natur zu tun sowie mit den Indizien, die ich mit meinen eigenen Augen sehen kann. Und die Aussagen nicht zu vergessen, die gemacht oder eben nicht gemacht werden.
Mit Klugheit und etwas Glück kann ich die Katze im Sack haben, bevor die Jungs von der Spurensicherung und der Pathologe mit ihren Untersuchungen fertig sind.
All das ging mir durch den Kopf, während ich Mr Lawrence und Mrs Parker beobachtete. Sie hatten sich mittlerweile hingesetzt und saßen nebeneinander auf den beiden Sesseln. Seine Hand lag auf ihrer Schulter, während sie sich mit seinem Taschentuch die Tränen von den Augen tupfte.
Fürs Protokoll will ich nicht unerwähnt lassen, dass es mir nicht schwerfiel, sie anzuschauen. Sie war etwas jünger, als Scott geschätzt hatte, vielleicht Ende dreißig, mit langem rabenschwarzem Haar, hell geschminktem Teint und dunklem Mascara. Ihre aufgeknöpfte schwarze Lammfelljacke ließ ein teuer wirkendes graues Strickkleid sehen, und ich war mir sicher, dass sich darunter eine ansehnliche Figur verbarg. Sie trug lange schwarze Stiefel, einen Kaschmirschal und Handschuhe, die sie allerdings mittlerweile von den Fingern gestreift hatte. Eine exquisit gekleidete Dame, samt goldener Armbanduhr und einem hübschen Klunker als Verlobungsring, den sie traditionell über den Ehering gesteckt hatte.
Ich versuchte mir vorzustellen, wie sie in dieser Aufmachung zu Hause ihren Papierkram wegarbeitete. Na ja, vielleicht hatte sie ja später noch einen Termin.
Ich hatte ihnen nun schon eine angemessen pietätvolle Auszeit gewährt. Jetzt ließ ich den Rest meines Brötchens wieder auf dem Verkaufstresen zurück und begab mich zu der trauernden Witwe und ihrem fürsorglichem Freund.
Ich stellte mich ihr vor, diesmal ohne auf meine Marke zu zeigen. Sie blickte zu mir hoch, sagte aber nichts. Also redete ich.
»Das mit Ihrem Mann tut mir sehr leid.«
Sie nickte.
Ich bemühte mich, sanft und freundlich zu klingen.
»Manchmal wünschen die Hinterbliebenen es, den Toten noch einmal zu sehen. Manchmal kann das helfen, Abschied zu nehmen. Manchmal ist es allerdings zu schmerzhaft.«
Und manchmal verliert der Hinterbliebene dann jegliche Kontrolle und gesteht sein Verbrechen an Ort und Stelle.
»Es ist Ihre Entscheidung«, versicherte ich ihr.
Sie brauchte nicht lange nachzudenken. »Ich will ihn nicht … sehen.«
»Ich habe vollstes Verständnis«, versicherte ich ihr. »Ich möchte Sie trotzdem bitten, hierzubleiben, bis wir ihn abtransportiert haben. Sie müssten vielleicht einige Formulare unterschreiben«, erklärte ich ihr.
Mit wackliger Stimme erwiderte sie: »Ich würde gerne nach Hause gehen.«
»Na gut. Ich werde veranlassen, dass einer meiner Kollegen Sie im Streifenwagen nach Hause fährt.« Aber erst später.
Ohne die leidtragende Witwe vorher gefragt zu haben, verkündete Jay Lawrence: »Ich werde sie begleiten.«
Ich wollte unbedingt Mia Parker verhören, aber ich konnte sie nicht hierbehalten. Außerdem wollte ich auch Jay Lawrence vernehmen, aber er hatte sich an die trauernde Witwe geklettet, und es ist von Vorteil, Verdächtige getrennt voneinander zu verhören, damit man die Widersprüchlichkeiten in ihren Geschichten entlarvt.
Obendrein gibt es einen Gerichtsentscheid, der uns Polizisten erlaubt, einen Verdächtigen zu belügen, wenn wir uns dadurch Informationsgewinn erhoffen. Also zum Beispiel: »Okay, Mr Lawrence, Sie sagen A, aber Mrs Parker und Scott haben B gesagt. Wer lügt hier, Mr Lawrence?«
Dabei wäre ich es ja, der lügen würde. Aber wenn beide Verdächtige nebeneinandersitzen, kann man sie nicht gegeneinander ausspielen. Allerdings verfügte ich über etwas Information von Scott, wenn auch nicht allzu viel. Und überhaupt ging es hier ja nicht um eine Ermittlung in einem Mordfall, weshalb es auch keine Verdächtigen gab und ich die beiden nicht voneinander trennen konnte, um sie einzeln zu befragen.
Um genau zu sein, ich hatte keinen Zweifel daran, dass Otis Parker ermordet worden war, und ich war
Weitere Kostenlose Bücher