Der Fall der Bücher (Kindle Single) (German Edition)
ging nach draußen. Es war noch immer kalt und windig, und auf der North Moore Street gingen nur wenige Leute. Jetzt bemerkte ich in einem der Schaufenster ein Exemplar von Der Tod klopft nur einmal von Jay K. Lawrence. Ein kleines Schild darunter bewarb das Buch mit SIGNIERT. Nun, noch nicht, dachte ich mir.
Ich setzte mich auf den Beifahrersitz in Rourkes Streifenwagen, packte mein Brötchen mit Schinken und Ei aus und biss hinein. Es hatte ebenfalls Zimmertemperatur.
Dann rief ich schnell Lieutenant Ruiz an, um ihm zuvorzukommen. Als er abnahm, sagte ich: »Ich bin noch immer in der Dead-End-Buchhandlung.«
»Was ist los?«
»Nun …« Ich werde dich jetzt gleich anlügen. Nein. Keine gute Idee. Genauso wie ich, interessiert sich Ruiz mehr für Ergebnisse und Verhaftungen als für kleinliche Formalitäten. Deshalb antwortete ich: »Ich habe Grund zu der Annahme, dass wir es hier mit Mord zu tun haben.«
»Wirklich?«
»Ich will das aber jetzt noch nicht bekanntgeben.«
Keine Reaktion.
Ich nahm noch einen Bissen. »Ich glaube, dass das Bücherregal von einem noch unbekannten Täter oder von mehreren noch unbekannten Tätern vorsätzlich zu Fall gebracht wurde.«
»Isst du gerade?«
»Nein. Ich kaue auf meiner Krawatte.«
Er ignorierte meinen Kommentar und fragte: »Brauchst du Unterstützung?«
»Nein. Ich brauche noch dreißig oder vierzig Minuten.«
»Wo ist der Tote?«
»Dort, wo man ihn gefunden hat.«
»Verdächtige?«
»Sieht nach einem Insiderverbrechen aus.«
»Ich habe mit Sergeant Tripani gesprochen. Der meint, es sieht wie ein Unfall ein.«
»Nein. Es sieht so aus, als ob er mir ein Frühstück schuldet.«
Die oberste Regel unter Polizisten, wenn wir uns eine Scheinversion zurechtlegen, lautet: Sieh zu, dass die Geschichte kohärent ist.
Also fragte mich Lieutenant Ruiz: »Du glaubst also, es handelt sich um einen Unfall?«
»Zu diesem Zeitpunkt glaube ich, dass es sich um einen Unfall handelt.«
»Ruf mich in einer halben Stunde wieder an.«
Ich legte auf und stieg aus dem Wagen. Als ich den Laden wieder betrat, sah ich Mr Lawrence am hinteren Ende des Raumes stehen und in sein Handy sprechen, außerhalb der Hörweite Rourkes. Ich wusste nicht, mit wem er sprach, aber ich würde es herausfinden, wenn ich ihn erst vorgeladen und den Bescheid zur Überprüfung seiner Anrufliste in Händen halten würde.
In der Nähe der Tür blieb ich stehen und sah hinaus auf die Straße. Ein Taxi fuhr vor, aus dem eine Dame stieg, bei der es sich, nach der Fotografie zu urteilen, die ich auf dem Schreibtisch gesehen hatte, um Mia Parker handelte.
Sie warf einen Blick auf das Polizeiauto und hastete zur Tür. Ihr Gesichtsausdruck zeigte Besorgnis, aber sie schien nicht wirklich krank vor Angst zu sein wegen des Unfalls ihres Mannes. Ich meine, ich habe mittlerweile alles gesehen, und Mrs Parker wirkte, als habe sie eine nur leicht unangenehme Sache vor sich.
Sie öffnete die Tür, sah kurz auf mich, dann auf Officer Rourke und entdeckte schließlich Jay Lawrence am hinteren Ende des Raumes. Er bemerkte sie im selben Moment. Sie eilten aufeinander zu und trafen sich am Bücherwühltisch. Es war eine sehr merkwürdige Szene, wie sie da so zwischen halber Umarmung und gegenseitigem Händedrücken schwankten. Vielleicht klatschten sie einander auch ab.
Dann umfasste er ihre Hände, und ich hörte ihn sagen: »Mia, es tut mir so leid … Otis ist …«
Tot. Komm schon, Jay. Mir bleiben dreißig Minuten, bis ich den Verdacht auf Mord bekanntgeben muss. Bei ihr fiel der Groschen, und sie umarmten sich. Über ihre Schulter sah er zu mir herüber und registrierte, wie ich auf meine Armbanduhr schielte, während ich noch einmal von meinem Brötchen abbiss. Ich fühlte mich echt mies.
Ich meine, was, wenn keiner der beiden etwas mit dem Mord an Otis Parker zu tun hatte? Ich war davon überzeugt, dass es sich um ein Insiderverbrechen handelte, aber es hätte auch Scott sein können, oder die Exfrau von Otis, oder Jennifer, die Halbzeitkraft, oder bis dato noch unbekannte Personen, die nach Geschäftsschluss Zugang zum Laden und zu Otis Parker gehabt haben könnten.
Was uns wieder zum Thema Motiv bringt. Im Allgemeinen gibt es sechs Hauptmotive für Mord: Profit, Rache, Eifersucht, Vertuschung eines Verbrechens, Vermeidung von Blamage oder Schande sowie reine Mordlust. Es gibt Varianten, und natürlich gehen die Motive oft ineinander über, aber wenn man sich auf diese sechs Hauptkategorien konzentriert
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