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Der Fall der Feste

Der Fall der Feste

Titel: Der Fall der Feste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horus W. Odenthal
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Pfeiler, wie die Lichtschächte, in den Boden gehen. Er sieht wieder im Geiste vor sich, wie der von ihnen schwer getroffene erste Kyprophraig sich über die Umfassungskante in einen dieser Schächte gleiten ließ. Seine Beine tasteten sich über die Kante und dann folgte der dürre, lange Körper mitsamt der beiden Armpaare und dem monströsen Kopf, so als werde er von dem tiefen, schrägen Abgrund aufgesogen. Sein Gesicht ist jetzt in diesem kalten Luftzug irgendwo von unten her. Aus den Tiefen. Sein Oberkörper kommt über den Schacht, irgendwie verdreht und schräg, weil er nur mit einem Arm ziehen kann. Seine Beine scharren über den Boden, schieben ihn vorwärts. Eine Steinkante schürft Rüstungsteile über eine der schlimmen, blutenden Wunden, und er keucht erstickt im Rachen auf.  
    Wenn er nur den anderen Arm …
    Flüssiges Eis schießt durch die Nase in seine Stirnhöhle hoch, und flatterndes Nichts verschlingt ihn.  
    Die Tiefe saugt ihn auf.  
    Er schürft rasend schnell mit Brust, mit Armen, mit Kinn über Stein, und es rauschen Schwaden von Grau an ihm vorbei.  
    Er meint zu schreien, aber es kommt kein Schrei.  
    Als würden vorbeiflatternde schwere Mäntel und Pelze ihn einhüllen auf einer im leeren Raum abwärts sausenden Lagerstatt, als sänke er unter Lagen und Wächten von.  
    Grauem, schmelzendem Schnee.  
    Als sei da nichts mehr.
    Und mehr.  
    Sei.  
    Nicht.

Zehntes Buch:  
    Der lange Weg heim

Das Erbe

    Da war eine Stimme im Dunkel, wie eine kleine Flamme.
    Das Dunkel war ein gewaltiger Ozean, der sich nach allen Seiten hin ausbreitete und alles verschlang. Nur die Stimme war beharrlich, die kleine Flamme, sie tanzte stetig vor ihm her. Du musst hier fort , sagte sie. Und, Du bist noch da , wisperte sie .
    Der Ozean, der die Dunkelheit um ihn war, füllte sich, als werde eine andersfarbige, schwerere Flüssigkeit hineingegossen. Schmerz trieb aus, wie aus dem aufgeschlitzten Beutel eines Tintenfischs. Schmerz erdrückte ihn, wie eine gewaltige empfindungslose Masse. Er wühlte sich mit kleinen klirrenden Klingen in ihn, als wollte er die sich verdichtende, gerade aufdämmernde Substanz seines Bewusstseins zu Hackfleisch zerfräsen. Schmerz: Sein dämmerndes Bewusstsein zerstob wieder in seinem kalten zersetzenden Feuerball.
    Die Dunkelheit war besser gewesen.
    Aber die kleine Stimme ließ keine Ruhe. Es gibt dich noch, du musst hier fort.
    Sie tanzte wie eine Verführerin vor ihm her, hinter deren Rücken schon der gewetzte Dolch des Schmerzes wartete.
    Er hörte ein Keuchen in der Dunkelheit und ein Scharren. Er fühlte, wie er sich einen Fingerbreit vorwärts bewegte. Er fühlte. Jetzt sieh, kleine Flamme, was du angerichtet hast!

    Schwaden von Dunkelheit, Meere von Schweigen. Stumpfes Nichtsein und Rühren. Die steinumfasste, dunkle Leere einer Feste reitet wie ein Mahr auf seinem Rücken. Er ist das verschlungene Insekt in ihren Eingeweiden. Er begreift sich kaum. Er kriecht, er bewegt sich. Die Dunkelheit steht vor ihm wie eine Wand. Sie ist über ihm und unter ihm und um ihm. Nur die kleine Flamme tanzt ihm voran. Er ist nicht, er weiß nicht, doch er bewegt sich. Langsam, langsam. Im schweren Stoff des Dämmerns. In glimmenden Feldern des Schmerzes. Unbewusst.

    Er ist lange in der Dunkelheit, er weiß nicht viel davon. Er versinkt, hat Nebel des Erkennens. Die kleine Flamme zieht ihn vorwärts.
    Im Nichtfühlen ist da eine Form, die ihn umfasst. Rote Faust und Ring kommen zur Eklipse. Er ist fast tot. Es nimmt sich dennoch seiner Wunden an.

    Manchmal kommt schwaches Licht von irgendwo.
    Schächte und Gänge. Da ist Staub und Dunkelheit um ihn herum. Er kriecht durch Schächte und enge Tunnel, die manchmal seinen Körper kaum durchlassen. Er zwängt sich, er kriecht wie eine Made durch den Bauch eines Monstrums. Hier ist ein ganzes Netzwerk von Tunneln und Schächten. Im Dunkel geht es schräg bergauf, dann bergab, Schächte zweigen ab, nach oben, zu den Seiten. Die kleine Flamme ruft ihn vorwärts, er kriecht ihr nach.

    Er hörte ein Scharren in der Dunkelheit. Es war in einer jener Phasen des zeitlosen Versinkens, wo sein Bewusstsein schwach hochglomm. Er steckte in einer engen Röhre, konnte sich nur vorwärts oder rückwärts bewegen. Vielleicht war es ein Traum, den er hier im Bauch des Monstrums hatte. Vielleicht halluzinierte er. Es war ein Scharren, als würden Insekten ihre Chitinpanzer übereinander bewegen. Ein trockenes, bohrendes, hektisch verstörendes

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