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Der Fall des Lemming

Der Fall des Lemming

Titel: Der Fall des Lemming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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schwer überladene Bücherregale. Kisten sonder Zahl stehen auf Boden und Tisch, gefüllt mit Pinseln und Stiften, Fläschchen und Tiegeln, verkrusteten Zahnbürsten, Kerzen, Spachteln, Stoffresten und vielem mehr. Ganz hinten, in einem versteckten Winkel des Raumes, spuckt und dampft eine Espressomaschine auf einem Campingkocher.
    « Bildnerische Erziehung heißt das, junger Mann», doziert Frau Magister Haberl mit erhobenem Zeigefinger. « Bildnerische Erziehung und Werkerziehung , nicht etwa Zeichnen und Basteln ! Das bissel Respekt möchten wir uns schon ausgebeten haben, wo wir doch sowieso die erklärten Betriebskasperln sind, wir Zeichen- und Bastellehrer …»
    Der Lemming grinst.
    «Sie haben mein vollstes Verständnis, Frau Professor. Wir Privatinvestigationsspezialisten lassen uns auch nicht gerne als Schnüffler bezeichnen …»
    Er hat sich nicht geirrt. Die kleine Frau scheint auch ihn auf Anhieb sympathisch gefunden zu haben. Obwohl da zuerst ein Anflug von Misstrauen spürbar war, als sie ihn fragte, ob er denn wirklich Polizist sei. «Gewiss-, gewisser-, gewissermaßen außer Dienst», hat der Lemming gestottert und damit unbewusst das Eis gebrochen. Vielleicht lag es ja an ihrer von Berufs wegen geschärften Beobachtungsgabe, dass sie ihn anders eingeschätzt hat. Wahrscheinlich störte sie aber auch nur die Vorstellung, einen Polizisten nett zu finden.
    «Milch gibt’s beim Hausmeister, Zucker im Chemiesaal», bemerkt die Lehrerin trocken und schenkt dem Lemming Kaffee ein. «Aber ein Glasl Absinth können S’ haben. Der gehört bei uns zur Grundausstattung. Sie wissen schon, die grüne Fee, Muse der Maler und Schriftsteller, van Gogh, Picasso, Hemingway …»
    «Danke, es ist noch ein bisserl zu zeitig, mit dieser Art Musen zu schmusen», sagt der Lemming, «obwohl ich dieser Tage schon eine brauchen könnt …»
    «Ich weiß nicht, ob ich Ihnen da helfen kann. Aus dem Alter bin ich schon, na ja, fast, heraußen. Aber jetzt im Ernst … Sie wollen also etwas über den Grinzinger wissen …»
    Frau Magister Haberl legt eine Pause ein, denkt nach. Ein Schatten legt sich auf ihr schmales Gesicht, die Augen scheinen noch ein Stück tiefer in ihre Höhlen zu treten, dann schnaubt sie unwirsch durch die Nase und meint:
    «Der Grinzinger war ein Arschloch.»
    Sie hebt die Tasse an den Mund und bläst versonnen auf die schwarze, dampfende Flüssigkeit.
    «Nicht, dass Sie glauben … Persönlich hatte ich wenig mit ihm zu tun. Aber ich habe die Schüler erlebt, wenn sie aus seiner Stunde kamen. Nach ihm zu unterrichten, das war die reine Krisenintervention …»
    «Was ist geschehen?»
    «Ich weiß nicht wirklich, wie er das gemacht hat. Die Kinder waren jedes Mal außer sich, erschöpft und aggressiv, vollkommen unkonzentriert. Und kommen S’ mir jetzt nicht mit der heilenden Kraft der Kunst, da kann ich nur lachen! Naiv, zu glauben, dass mit den kleinen Nerverln noch zu arbeiten war …»
    «Aber … was war schuld? Ich meine, war er zu streng? Oder sogar handgreiflich?»
    «Er hat sicher nie zugeschlagen, wenn Sie das meinen. Das wäre irgendwann herausgekommen. Ich bitt Sie, der Grinzinger hat fast vierzig Jahre lang unterrichtet, und immer hier, beim Schebesta. 1962 hat er angefangen, soweit ich weiß …»
    «Da bin ich auf die Welt gekommen …»
    Magister Haberl faltet andächtig die Hände und flüstert ergriffen: «O Gott, o Gott, so ein junger Hupfer! Und ich allein mit ihm im Zeichenkammerl – was werden nur die Leute sagen?»
    «Ein schöner Mensch, werden sie sagen, der Frau Professor ihr neues Aktmodell …»
    Ihr Lachen wird vom Schrillen der Glocke unterbrochen. Die Lehrerin legt ihre Stirn in Falten und seufzt: «Nichtsdestotrotz, Sie schöner Mensch, die Arbeit ruft. Streuen wir also die Perlen der Renaissance vor die Säue der Fünf A …»
    Gleich den knienden Männern vor Caravaggios Rosenkranzmadonna reißt jetzt der Lemming die Arme hoch und ruft: «Ich fleh Sie an, Frau Professor! Nur eine letzte Frage noch, damit ich Unwürdiger nicht dumm sterben muss und Recht und Ordnung Genüge tun kann!»
    «Sie sei gewährt.»
    «Glauben Sie», meint der Lemming, nun wieder ernst geworden, «dass es einer seiner Schüler gewesen sein könnte?
    Ich meine, ist er irgendwann bedroht worden? Oder gab es so etwas wie einen … Erzfeind?»
    «Nicht, solange ich … aber, Moment … warten Sie …» Sie erhebt sich und umrundet gedankenverloren den Tisch. Dann tritt sie an

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