Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fall des Lemming

Der Fall des Lemming

Titel: Der Fall des Lemming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
Vom Netzwerk:
viele solcher Ausdrücke hören, und ihr Klang wird weich sein Herz umfangen, weil es lebende Relikte einer Sprache sind, die brummig und zärtlich zugleich ist den Dingen gegenüber.
    «Auweh, da hab i an Pallawatsch beinand’ …»
    «A Haucherl, nur a Haucherl derfst ihm gebn!»
    «Der tuscht ma, sogar mit an Buserer …»
    «Geh, Pepperl, plausch ned … is eh aufg’legt … den nimmst von da Maschek-Seitn …»
    «A geh … I massier ihm.»
    «Na, habe d’Ehre … Herr Ober, kumman S’ oba, des Tuach is durch …»
    Irgendwann hält der Größere der beiden inne und wirft einen Blick auf seine Armbanduhr.
    «Du, Wäudl, der kummt nimmer … zwanz’g nach achte …»
    «Scheiß. Vergess’ ma’s.»
    «Herr Ober! Anschreib’n bitte!»
    Es ist Zeit. Der Lemming erhebt sich und tritt, gemeinsam mit dem Kellner, auf die beiden Männer zu.
    «Das geht auf mich», sagt er. «Aber vorher bringen S’ uns noch eine Runde.»
    «San Sie der …»
    «Ja. Wallisch.»
    «Setz ma uns hin.» Bald sitzen sie zu dritt in einer Nische am Fenster. Sedlak und Steinhauser mustern den Lemming mit unverhohlenem Misstrauen.
    «Wer hat Ihna denn … die Nasn ramponiert?», fragt Steinhauser endlich.
    Da kommt dem Lemming eine Idee. Vielleicht ist das eine Möglichkeit, die beiden ein wenig in Schach zu halten. Er setzt ein verschwörerisches Grinsen auf, betrachtet seine Fingernägel und sagt nach einer längeren Kunstpause: «Ach das … Ich bin, sagen wir … gegen eine Tür gelaufen.»
    «Und … die Tür?»
    «Intensivstation.»
    «Ah …»
    Schweigen am Tisch. Irgendwann zieht der Lemming die Augenbrauen hoch und fragt mit sanfter Stimme: «Und Ihre Geschichte?»
    «Haben S’ … wissen S’ eh … den Scheck?»
    «Kommt auf die Geschichte an.»
    Sedlak und Steinhauser wechseln verstohlene Blicke. Schließlich gibt sich Steinhauser einen Ruck.
    «Ich nehme an, Sie präferieren die hochdeutsche Version …»
    «Wie kannst du nur fragen! Ein Mann des Wortes!» Sedlak schüttelt mit gespielter Entrüstung den Kopf. «Wir werden selbstverständlich Ihren Wünschen entsprechen», fügt er, an den Lemming gewandt, hinzu.
    Ein ironisches Grinsen geht über die Gesichter der beiden, während der Lemming zu verstehen beginnt. Man ist also zweisprachig, man vermag sich, je nach Emotion und Situation, zwischen Burgtheater- und Vorstadtidiom zu entscheiden. Es hätte ihn auch gewundert, wenn zwei Absolventen des Schebesta-Gymnasiums der gehobenen Sprache nicht mächtig gewesen wären.
    «Dann also nach der Schrift», meint der Lemming und nimmt einen Schluck.
    «Gut», sagt Steinhauser. «Suum cuique. Jedem das Seine. Dass wir Schüler vom Grinzinger waren, wissen Sie ja …»
    «Weiß ich. Maturajahrgang neunundsiebzig.»
    «Es gab da in der siebenten … einen Kollegen, David Neumann. Der hat sich …»
    «Umgebracht. Am Tag, als sein Vater gestorben ist.»
    «Aha … Aber im Sommer darauf …»
    «Felix Serner. Die Sache mit Grinzingers Auto, mit der Buttersäure. Hören Sie, ich weiß das alles. Was wollen Sie mir denn nun verkaufen?»
    «Der Neumann und der Grinzinger waren …»
    «Verfeindet. Ist mir bekannt. Neumann ist sitzen geblieben. Grund genug für Grinzinger, ihn zu traktieren …»
    «Aber nicht nur!» Steinhauser lächelt geheimnisvoll. Er wittert offenbar seine Chance.
    «Der alte Neumann, Davids Vater, hatte …»
    « Kaffee Neumann . Gegenüber der Schule. Ich weiß. Und kommen S’ mir jetzt bitte nicht mit dem Iden-Club.»
    Die Strategie des Lemming trägt Früchte. Sedlak und Steinhauser verfallen zusehends. Sie sehen sich einem abgebrühten Mann mit zerschlagener Nase gegenüber, der offenbar allwissend ist. Von so einem Mann kann man keinen Scheck erwarten. Im Gegenteil. Man kann nur hoffen, ihm die gestohlene Zeit nicht auch noch bezahlen zu müssen. Trotzdem wagt Sedlak einen letzten Versuch.
    «Wissen Sie eigentlich, dass der Grinzinger auch dem alten Neumann das Leben zur Hölle gemacht hat?»
    Der Lemming horcht auf.
    «Äh, ja. Dem Vater. Natürlich», beeilt er sich zu sagen.
    «Herr Ober, eine Runde noch! Die geht auf mich …» Steinhauser kratzt sich am Ohr und senkt verlegen den Kopf.
    Spiel, Satz und Sieg: Lemming. Es ist an der Zeit, zum gemütlichen Teil des Abends überzugehen. Jetzt, da Sedlaks und Steinhausers Felle davongeschwommen sind, kann der Lemming seine Schäfchen ins Trockene bringen. Er wird es ausgiebig tun. Ja, es wird eine ganze Herde ausgewachsener

Weitere Kostenlose Bücher