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Der Fall Lerouge

Der Fall Lerouge

Titel: Der Fall Lerouge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Èmile Gabroriau
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sofort verhaften lassen. Binnen zwanzig Minuten hätte ich ihn in meinem Büro vor mir. Und da gäbe es bei mir auch keine spitzfindige Fragerei. Ich ginge sofort in media res, käme gleich zur Sache. Alles, was ich weiß, würde ich ihm entgegenschleudern, würde ihn mit dem Gewicht der Beweislast erdrücken, so daß ihm nichts übrigbliebe, als alles zu gestehen. Wenn er mit einem Alibi käme, würde ich sagen: ›Nun gut, verehrter Graf, das hört sich schön an. Aber Sie haben in mir keinen heurigen Hasen vor sich. Mit dergleichen können Sie bei mir nicht landen. Sie waren also an einem ganz anderen Ort zur Tatzeit, und das können, sagen Sie, soundso viele Menschen bezeugen. Das behaupten Sie! Jetzt will ich Ihnen mal darlegen, was Sie in der fraglichen Zeit unternommen haben. Um zwanzig nach acht sind Sie aus einer Gesellschaft von zu Hause fortgegangen, meinetwegen in Eile, da um fünf nach halb neun der Zug vom Bahnhof St-Lazare abging. Um neun Uhr erreichte der Zug Rueil, Sie stiegen aus und legten den Weg nach Jonchére zu Fuß zurück. Es war Viertel nach neun, als Sie am Fensterladen des Hauses der Madame Lerouge klopften, die Sie auch einließ, weil Sie ihr bekannt waren. Sie sagten, Sie seien hungrig, und baten auch um etwas zu trinken. Zehn Minuten später stießen Sie ihr das spitze Ende eines abgebrochenen Floretts zwischen die Schulterblätter. Weniger fein gesagt: Sie ermordeten sie! Danach nahmen Sie den wichtigsten Teil Ihrer Arbeit in Angriff: Sie durchstöberten das Haus und verbrannten gewisse Papiere. Und um die Polizei auf eine falsche Fährte zu locken, rafften Sie sodann alle Wertsachen, deren Sie habhaft werden konnten, in eine Serviette zusammen und schleppten sie mit sich. So sollte der Eindruck erweckt werden, ein Raubmörder sei am Werk gewesen. Dann versperrten Sie die Tür, warfen den Schlüssel fort, und da, wo Sie auf die Seine stießen, warfen Sie das Bündel mit den Wertsachen ins Wasser. Den Weg zur Bahn legten Sie wieder zu Fuß zurück. Gegen elf konnten Sie bequem wieder in der Gesellschaft erscheinen, nur zweieinhalb Stunden später, und niemand hatte Ihre Abwesenheit bemerkt. So war es, Monsieur, und ich muß zugeben, daß Sie ein geschicktes Spiel gespielt haben. Doch konnten Sie nicht mit zwei Gegnern rechnen, die Ihren ganzen schönen Plan zunichte machen würden: mit einem Detektiv namens Tabaret, der sich nicht hinters Licht führen läßt, und mit einem anderen, noch gewichtigeren Gegner, den man Zufall nennt. Ihr Spiel ist aus. Zudem, Monsieur, hätten Sie keine von den modischen Schuhen tragen sollen, auch keine grauen Handschuhe aus Wildleder und keinen Zylinder, den Sie dann auf einer staubigen Marmorplatte absetzten. Und auch der Regenschirm war überflüssig. Also: Gestehen Sie, und ersparen Sie sich die Peinlichkeiten einer Untersuchung durch das Gericht. Übrigens würde ich Ihnen für diesen Fall gestatten, in der Zelle weiterhin die von Ihnen bevorzugten Zigarillos zu rauchen, meinetwegen auch aus einer Spitze, wie Sie es gewohnt sind.‹«
    Nach dieser Meisterleistung an Scharfsinn und Zungenfertigkeit blickte Vater Tabaret, Anerkennung fordernd, zu Daburon hinüber. Als dieser schwieg und er selber wieder zu Atem gekommen war, setzte er hinzu: »So würde ich vorgehen. Und wenn er hartnäckiger wäre, als ich annehme, er würde zusammenbrechen und gestehen, es sei denn, er wäre aus Stahl oder aus Granit.«
    Â»Und was, wenn er wirklich aus Stahl oder aus Granit ist und nicht zusammenbricht?« fragte Daburon versonnen.
    Dieser Einwurf brachte Vater Tabaret ein wenig aus der Fassung. Auf seinem Gesicht waren Falten des Unbehagens. »Ich weiß nicht. Jedenfalls würde ich ihm weiter auf der Seele knien. Und ich würde die Recherchen weitertreiben. Aber, glauben Sie mir, er wird gestehen.« Daburon blieb nachdenklich. Dann gab er sich einen Ruck, nahm eine Feder und schrieb schnell einige Zeilen aufs Papier.
    Â»Sie haben gewonnen«, sagte er. »Ich lasse Albert de Commarin verhaften. Aber ganz so schnell, wie Sie das eben dargestellt haben, wird die Sache nicht ablaufen. Formalitäten und Durchsuchungen werden einige Zeit in Anspruch nehmen. Dann muß der Graf de Commarin, der Vater, gehört werden, und ich muß auch mit Ihrem Freund Noël sprechen. Die Briefe sind schließlich ein wichtiges

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