Der Fall Lerouge
Geständnis abzulegen und so dem Fall ein Ende zu machen.
Daburon lächelte, als er den Alten so in Eifer sah. »Soweit ist es noch nicht«, sagte er ruhig.
»Aber bald wird es soweit sein«, fiel ihm Tabaret ins Wort. »Oder sollte ich mich getäuscht haben, und Sie stellen den Haftbefehl nicht bei Tagesanbruch aus?«
In Daburon stieg ein Gefühl hoch, das dem eines Kranken vor einer Operation ähnelt, der sieht, wie der Arzt mit den Instrumenten hantiert. Kein Zweifel bestand: Jetzt war der Augenblick zu handeln gekommen, und mit schrecklicher Deutlichkeit kam ihm zum BewuÃtsein, daà ein gewaltiger Unterschied zwischen dem theoretischen Durchspielen einer Situation und der unweigerlich daraus folgenden Praxis besteht.
»Sie wollen schnell voran, Tabaret«, gab er zu bedenken. »Sehen Sie denn keine Zweifel, die ...«
»Keine«, sagte Vater Tabaret entschlossen und schnell, »keine jedenfalls, nachdem ich weiÃ, wer der Mörder ist. Oder können Sie mir jemand anders nennen, der die Tat begangen hat? Gibt es noch einen Menschen, der ein Interesse daran haben konnte, Madame Lerouge für immer den Mund zu verschlieÃen und ihre beweiskräftigen Papiere aus der Welt zu schaffen, nachdem Noël Anstrengungen unternommen hatte, seinen Titel und seinen rechtmäÃigen Besitz zurückzuerlangen? Wenn der Mörder nicht überführt werden kann, dann bleibt alles beim alten: Der Graf Commarin bleibt der Graf Commarin, mein junger Freund bleibt bis zu seinem Tod Noël, der Sohn der Madame Gerdy.«
»Ãberlegen Sie doch einmal ...«
Vater Tabaret blickte mit Erstaunen auf den Richter. »Sie haben Bedenken?« fragte er.
»Ich möchte die Vorsicht nicht auÃer Betracht lassen. Sehen Sie, man darf doch erst zuschlagen, wenn man gewià sein kann, daà der Schlag auch trifft. Aber alles, was wir bisher in Händen haben, sind Vermutungen und Kombinationen. Bedenken Sie doch einmal den Fall eines Justizirrtums! Der läÃt sich nicht rückgängig machen. Wenn sich das Gericht erst einmal mit einem Menschen befaÃt hat, dann bleibt immer ein Makel an ihm, auch wenn er unschuldig ist.«
Tabarets Hochstimmung sank, als er den Untersuchungsrichter so reden hörte.
Daburon verharrte eine Weile in tiefem Nachdenken. Das hat mir noch gefehlt, dachte Tabaret, an einen Hasenfuà zu geraten, der Sprüche klopft, wo er handeln sollte, und Bedenklichkeiten vorträgt, anstatt Befehle zu erteilen. Meine Ermittlungen haben ihn aus der Bahn geworfen, und er ist anscheinend der Lage nicht gewachsen.
»Wenn wir nun«, sagte Daburon abwägend, »uns vorerst damit begnügen, Albert de Commarin als Verdächtigen vorzuladen?«
»Um Himmels willen!« rief Tabaret. »Dann wäre alles verloren ...
»Verloren?«
»Ja, Monsieur Daburon. Der Verbrecher, mit dem wir es zu tun haben, ist mit auÃergewöhnlicher Raffinesse vorgegangen. Sehen Sie sich doch die Tat an. Ihr sind die scharfsinnigsten Planungen vorausgegangen. Nur ein Zufall, man könnte fast von einem Wunder sprechen, ist uns zu Hilfe gekommen und hat uns auf die richtige Spur gebracht. Wenn wir dem Mörder auch nur eine Sekunde zum Atemholen lassen, wird er uns durch die Lappen gehen. Dieser Mann hat bei seiner Tat nicht eine Kleinigkeit auÃer acht gelassen, vielleicht nur den Umstand, daà der Verdacht sich gegen einen so hervorstechenden Angehörigen des Adels richten könnte. Im Verhör wird er sich gelassen geben und äuÃerste Beherrschung an den Tag legen. Und er wird Ihnen ein unwiderlegbares Alibi vorsetzen, eines, wie man es sich lückenloser gar nicht ausmalen kann. Es wird Ihnen bei seiner gewandten Redeweise und seiner Geschicklichkeit kaum etwas anderes übrigbleiben, als ihn mit Entschuldigungen wegen der Störung zu entlassen. Nein, wir müssen schnell und unverhofft zuschlagen. Darin liegt unsere einzige Chance, nur dann ist der hilflos. Lassen Sie ihn aus dem Bett heraus verhaften, und verhören Sie ihn, ehe ihm seine Lage noch völlig zum BewuÃtsein gekommen ist.«
Tabaret hielt inne. Ihm war plötzlich die Ãberlegung gekommen, daà er mit seiner drängenden Rede es möglicherweise an der notwendigen Ehrerbietung, die einem Untersuchungsrichter zukam, habe fehlen lassen. Doch Daburon sagte nur ermunternd: »Fahren Sie fort.«
»Ich jedenfalls, wäre ich Richter, würde ihn
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