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Der Fall Lerouge

Der Fall Lerouge

Titel: Der Fall Lerouge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Èmile Gabroriau
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Beweisstück.«
    Tabarets Miene verriet Unbehagen, als Noëls Name fiel.
    Â»Das habe ich befürchtet«, sagte er.
    Â»Befürchtet?«
    Â»Wenn die Briefe ins Spiel kommen«, sagte Tabaret niedergeschlagen, »wird Noël meine Rolle in dieser Angelegenheit bekannt werden. Er könnte mich verachten, könnte glauben, ich hätte ihn hinters Licht führen wollen, ich, sein väterlicher Freund, der mit dem Detektiv Tabaret identisch ist.«
    Â»Keine Sorge, Tabaret. Er wird schon nichts merken. Ich werde ihm erklären, auf seinen Namen wären wir in den Papieren von Madame Lerouge gestoßen.«
    Â»Vielen Dank, Monsieur!« sagte Tabaret erleichtert. »Im übrigen wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn ich der Verhaftung beiwohnen und Ihnen auch bei der Haussuchung zur Hand gehen könnte.«
    Â»Natürlich, gern«, antwortete Daburon, während er ans Fenster trat und in die Morgendämmerung hinausblickte. Die Laternen glommen trüb in der heraufziehenden Helle, und man hörte das erwachende Paris mit dem Rumpeln von Wagen auf dem Pflaster. »Die Zeit drängt. Alles muß seinen vorgeschriebenen Gang nehmen. Ich muß mit dem Staatsanwalt beraten. Wenn nötig, lasse ich ihn aus dem Bett holen. Von dort aus begebe ich mich in mein Büro im Justizpalast. Gegen acht können Sie mich dort treffen.«
    In diesem Augenblick betrat ein Diener des Richters das Zimmer und brachte einen Brief.
    Â»Ein Polizist aus Bougival wartet auf Antwort, Monsieur.«
    Â»Gib dem Mann etwas zu essen und ein Glas Wein«, antwortete Daburon, ehe er das Kuvert öffnete. »Ein Brief von Gevrol«, sagte er dann und las vor:
    Â»Sehr geehrter Herr Untersuchungsrichter!
    Ich bin dem Mann mit den Ohrringen auf der Spur. Am Sonntagvormittag, vor seinem Besuch bei der Witwe Lerouge, war er in der Spelunke am Fluß, wo er zwei Liter Wein trank. Später bestellte er noch einen Liter, weil, wie er sagte, am nächsten Tag das Fest des Schutzpatrons seines Kahns sei. Im Kalender stellte ich fest, daß am nächsten Tag das Fest des heiligen Blasius gefeiert wurde. Daraus schloß ich auf den Namen seines Schiffs. Dann gelang mir noch die Feststellung, daß das Schiff Getreide geladen hatte. Ich benachrichtigte die Präfektur, damit Nachforschungen in Paris und Rouen aufgenommen werden können. Meiner Meinung nach kann der Kahn nur in einem der beiden Häfen liegen. Weitere Befehle erwartend, verbleibe ich als Ihr ergebener Gevrol.«
    Â»Der Einfaltspinsel!« Tabaret wollte sich vor Lachen ausschütten. »Hält noch immer sein Pulver trocken, und die Schlacht ist längst geschlagen! Sie geben ihm doch wohl Anweisung, die Recherchen einzustellen?«
    Â»Auf keinen Fall«, antwortete Daburon. »Wir dürfen nicht den kleinsten Hinweis außer acht lassen. Sonst könnten wir Gefahr laufen, in die Irre zu gehen. Können Sie voraussagen, ob der Seemann mit den Ohrringen nicht doch etwas Wichtiges weiß?«
    * * *
    A n dem Tag, da das gräßliche Verbrechen von Jonchère entdeckt worden war und Vater Tabaret seine Untersuchungen aufgenommen hatte, fuhr Albert de Commarin in seiner Kutsche zum Gare du Nord. Er erwartete seinen Vater, den Grafen. Müdigkeit und Sorgen verdüsterten sein blasses Gesicht. Alle im Palais hatten während der letzten Tage bemerken müssen, daß den jungen Herrn etwas Schweres bedrückte. Kaum richtete er ein Wort an die Dienerschaft; er aß wenig und hatte sich alle Besuche verbeten. Der Kammerdiener Lubin stellte fest, daß diese Veränderung im Wesen seines Herrn eingetreten war, seit ihn der Rechtsanwalt Gerdy am vergangenen Sonntag besucht hatte. Drei Stunden waren die beiden Männer in der Bibliothek eingeschlossen gewesen, und seit Monsieur Albert, der sonst die Fröhlichkeit in Person war, die Bibliothek verlassen hatte, machte er den Eindruck eines Menschen, den eine schwere Gewissensqual befallen hat.
    Es dauerte nicht einmal fünf Minuten, bis die Glocke die Ankunft des Zugs anzeigte. Albert de Commarin verließ den Wartesaal, mischte sich unter die Menschen, die den Bahnsteig bevölkerten, und wartete, bis die Menge sich verlaufen hatte. Dann erblickte er den Grafen, dem ein Diener mit dem Gepäck folgte.
    Der alte Graf sah trotz seines ergrauten Haars jünger aus, als er war. Nach der Art der Offiziere hielt er sich kerzengerade und trug den Kopf hoch. Er war

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