Der Fall Lerouge
groÃ, und sein Körperbau war kräftig, ohne fett zu sein. Seine ganze Erscheinung wirkte imponierend und ungezwungen, und besonders seine wohlgeformten Hände zogen immer wieder die Blicke auf sich. Wer ihn nicht näher kannte, hätte ihn für einen freundlichen, nonchalanten Mann halten können; zu diesem Eindruck trug vor allem der stets zu einem leichten Lächeln verzogene Mund bei. Doch in seinen Augen stand das Feuer des Hochmuts und unbezähmbarer Leidenschaft, die vor allem seinen Charakter bestimmten. Zwar war er nicht, wie die Marquise dâArlanges in ihrer muffigen Träumerei von der Vergangenheit, ein Verächter der neuen Zeit, doch bedeutete ihm niemand etwas, der nicht dem Adel angehörte. Er verschloà sich nicht, wie diese alte Dame, vor der Welt, hatte im Gegenteil ein gutes Stück von ihr gesehen und sich auch ein gutes Stück von ihr dienstbar gemacht, was auf scharfen Verstand, Weitblick und eine gehörige Portion Rücksichtslosigkeit schlieÃen lieÃ. Mit der Marquise, dieser Lemure aus der Vergangenheit, verband ihn nichts als die Zugehörigkeit zur Aristokratie und der Umstand, daà er in seinem Haus ein despotisches Regiment führte.
Die BegrüÃung zwischen Vater und Sohn war förmlich. Albert umarmte den Grafen, doch ohne Herzlichkeit. In wenigen Minuten teilte er diesem mit, was während seiner Abwesenheit im Palais vor sich gegangen war.
Dem Grafen fiel sofort das veränderte Aussehen seines Sohns auf, und er fragte ihn, ob er sich nicht wohl fühle. Albert aber beteuerte, daà ihm nichts fehle und daà er bei bester Laune sei.
Ein »Soso« und eine charakteristische Bewegung seines Kopfes lieÃen erkennen, daà er den Worten seines Sohns keinen Glauben schenkte. Damit aber war für ihn die Sache vorerst abgetan. Er wandte sich seinem Diener zu, gab ihm einige Befehle und sagte dann: »Jetzt habe ich keinen anderen Wunsch, als so schnell wie möglich nach Hause zu fahren und etwas zu essen. AuÃer einer dünnen Suppe hat mein Magen heute noch nichts angeboten bekommen.«
Die Reise war nicht zur Zufriedenheit des Grafen verlaufen. Sein Besuch in Wien hatte nicht die erhofften Erfolge gebracht, und mit einem Freund, bei dem er auf der Rückfahrt Station gemacht hatte, war er in einen solchen Streit geraten, daà die beiden sich nicht einmal voneinander verabschiedet hatten. Dieses Vorkommnis besonders wurmte ihn.
Kaum saà er in der Kutsche, als er auch schon darauf zu sprechen kam. »Der Herzog de Sairmeuse und ich hatten einen schlimmen Streit«, sagte er.
»Das ist doch nichts Neues«, antwortete Albert. »Ihr streitet euch doch anscheinend immer, wenn ihr euch seht.«
»Schon, schon. Aber diesmal ging es um Ernsteres. Der Herzog hat sein Schloà verkauft, eins der schönsten in ganz Frankreich. Eine Zuckerfabrik wird daraus gemacht! Und nur, weil er Geld braucht.«
»Und deswegen habt ihr euch gestritten?«
»Genügt denn das nicht?« fragte der Graf empört.
»Aber, Vater, bedenken Sie doch, daà der Herzog arm ist und eine groÃe Familie zu ernähren hat.«
»Das eine hat doch nichts mit dem anderen zu tun. Ein Aristokrat verschleudert seinen Besitz nicht. Damit begeht er Verrat an seinem Stand.«
»Aber, Monsieur!« sagte Albert, erschrocken von der Heftigkeit.
»Ich sage Verrat, und es ist Verrat«, beharrte der Graf. Und dann unternahm er einen weitschweifigen Exkurs, um zu beweisen, daà der Adel seinen Besitz zusammenhalten müsse, wolle er nicht untergehen.
Inzwischen war man im Hof des Palais angelangt, und der Kutscher fuhr nach altem Brauch noch eine Runde, ehe er das Gefährt anhielt. Vom Sohn gestützt, ging der Graf die groÃe Freitreppe empor und begrüÃte die Dienerschaft, die sich in ihren Livreen aufgestellt hatte. Dann zog er sich in seine Zimmer zurück, in dem stolzen BewuÃtsein, daà sein Haushalt, der dem Hofstaat eines regierenden Fürsten nicht nachstand, noch immer ausgezeichnet organisiert war.
Wie um diesen Zustand zu bestätigen, erschien der Hofmeister, kaum daà der Graf sich umgezogen hatte, und meldete, das Mahl sei gerichtet. Vater und Sohn trafen sich im EÃzimmer, einem üppig ausgestatteten Raum, wo auf kostbaren Platten und teuerstem Porzellan die erlesensten Gerichte serviert waren.
Der Graf war stolz darauf, ein Gourmand zu sein, und brüstete sich
Weitere Kostenlose Bücher