Der Fall Lerouge
klar, seine Gedanken waren gesammelt, und er erzählte alles, ohne sich an Nebensächlichkeiten zu verzetteln.
»Montag vormittag lieà sich ein junger Mann bei mir melden«, begann er, »der erklärte, er habe eine Angelegenheit von gröÃter Wichtigkeit mit mir zu besprechen. Verschwiegenheit sei zudem erforderlich. Als ich ihn empfangen hatte, machte er mich mit der Tatsache bekannt, daà ich der Sohn einer Madame Gerdy sei, die Sie so sehr geliebt hätten, daà Sie deren Kind an Stelle Ihres legitimen Sohnes angenommen und groÃgezogen hätten.«
»Du hättest ihn rausschmeiÃen sollen, diesen Lumpen!«
»Das konnte ich nicht. Denn er bat mich, einige Briefe, die er mitgebracht hatte, durchzulesen, ehe ich antwortete.«
»Trottel! Einfach in den Kamin hättest du sie werfen müssen!« brüllte der Graf. »So etwas! Hat das Zeug in den Händen und sorgt nicht dafür, daà es vernichtet wird. Wenn ich dabeigewesen wäre ...«
»Der Gedanke ist mir nicht gekommen. Ich erkannte nur auf den ersten Blick Ihre Handschrift, und ich las.«
»Ist das alles?«
»Ich händigte dem jungen Mann die Briefe wieder aus und bat ihn, eine Woche zu warten. Ich muÃte mit mir ins reine kommen und auÃerdem erst mit Ihnen eine Unterredung herbeiführen, in der ich Klarheit gewinnen wollte, ob der Austausch der Kinder wirklich stattgefunden hat!«
» Natürlich hat er stattgefunden«, antwortete der Graf. »Du hast es ja selbst gelesen â in meinen Briefen an deine Mutter.«
Obwohl Albert diese Antwort erwartet hatte, berührte ihn die plötzliche Konfrontation mit ihr doch schmerzlich.
»Ich habe es gewuÃt, Monsieur«, sagte er leise. »Aber entschuldigen Sie meine letzten Reste von Zweifel. Denn in den Briefen, die ich las, war nur von dem Plan die Rede und wie er ausgeführt werden sollte. Daà er auch ausgeführt worden ist, davon habe ich aus ihnen nichts erfahren.«
Der Graf erstarrte in MiÃtrauen. Hatte er doch noch die Antworten Valeries in Erinnerung, in der sie von der groÃen Freude darüber berichtete, daà der Plan erfolgreich ausgeführt worden sei, und er seinen Dank dafür ausgedrückt hatte, daà sie seinem Herzenswunsch entgegengekommen war.
»Dann hast du nicht alle Briefe gelesen«, sagte er.
»Alle, die man mir übergab, Monsieur, und sehr aufmerksam. Im letzten Brief teilten Sie Madame Gerdy mit, Claudine Lerouge, die Amme, die die Kinder vertauschen sollte, sei eingetroffen.«
»Das beweist nichts!« rief der Graf. »Ein Plan und seine Ausführung sind zweierlei. Was ist, wenn man einen Plan nicht ausführt?« Er machte sich Vorwürfe, zu schnell auf die Frage geantwortet zu haben, ob die Kinder wirklich vertauscht worden seien. Das erst hatte Alberts Verdacht zur GewiÃheit gemacht. Valerie muà die Briefe, die ihr am gefährlichsten werden konnten, vernichtet haben, dachte er. Aber warum nur diese und nicht auch die anderen? Die waren doch kompromittierend. Oder hatte sie die ganze Korrespondenz aus der Hand gegeben, und sie wurde nun stückweise präsentiert? Möglicherweise war Valerie tot? Der Gedanke schmerzte ihn. Denn er liebte diese Frau noch immer, selbst noch nach zwanzigjähriger Trennung. Zwar hatte sie ihn betrogen, aber sie hatte ihm auch die einzig glücklichen Jahre seines Lebens geschenkt. »Armes Ding«, murmelte er, und mit Erstaunen sah Albert, daà die Augen des Grafen feucht wurden. Zum erstenmal sah er den Grafen nicht hochmütig.
Doch der erlaubte sich nicht lange Sentimentalitäten; sachlich fragte er Albert: »Wer hat dir die Briefe überbracht?«
»Ihr Sohn selbst, Noël Gerdy. Er sagte, er wolle nicht Dritte in die Angelegenheit hineinziehen.«
»Es stimmt. Wir haben ihn auf den Namen ...
taufen lassen.« Und nach einer Weile fragte er: »Von seiner Mutter hat er wohl nicht gesprochen?«
»Nur, daà sie ihm das Geheimnis nicht anvertraut und daà er es durch einen Zufall entdeckt habe.«
Für den Grafen Commarin war es nun an der Zeit, die Wahrheit zu sagen. Er winkte Albert näher zu sich heran und sagte in einem für ihn ungewohnt milden Ton: »Wir müssen gemeinsam dem Unerquicklichen ins Auge blicken und überlegen, wie wir ihm begegnen können. Hab Vertrauen zu mir; ich bin dein Vater, und du bist mein Sohn.«
»Für mich gibt es
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